Kritik am Schweizer Milchmarktsystem
04.02.2025 WirtschaftLANDWIRTSCHAFT Viele Schweizer Milchbauern geben auf; zwischen 2008 und 2022 ist die Zahl der Betriebe um 35 Prozent gesunken. Eine neue Studie beleuchtet die Hauptprobleme – von niedrigen Preisen über steigende Produktionskosten bis hin zur umstrittenen ...
LANDWIRTSCHAFT Viele Schweizer Milchbauern geben auf; zwischen 2008 und 2022 ist die Zahl der Betriebe um 35 Prozent gesunken. Eine neue Studie beleuchtet die Hauptprobleme – von niedrigen Preisen über steigende Produktionskosten bis hin zur umstrittenen Milchsegmentierung.
Der Milchsektor nimmt in der Schweizer Landwirtschaft eine Schlüsselrolle ein, insbesondere im Berggebiet. Eine Studie der Universität Bern zeigt nun auf, wie Milchproduzenten den Markt wahrnehmen und wo sie Änderungsbedarf sehen. Die Untersuchung basiert auf einer Umfrage, die zwischen Oktober und Dezember 2022 unter 17'000 Milchproduzenten durchgeführt wurde. Etwa 15 Prozent der Teilnehmenden haben den Fragebogen vollständig ausgefüllt. Bewertet wurden nicht nur das Milchmarktsystem und die Abnahmebedingungen, abgefragt wurden auch die Zukunftspläne der Betriebe.
Bauern nur «Restgeldempfänger»
Die Umfrage offenbarte ein gemischtes Stimmungsbild: Rund 41 Prozent der Teilnehmenden bewerteten die Entwicklung des Milchmarktes negativ, während nur knapp 31 Prozent eine positive Haltung einnahmen. Ein zentraler Kritikpunkt ist der Milchpreis: Obwohl dieser zur Zeit der Umfrage den höchsten Wert seit 2009 erreicht hatte, fühlen sich viele Produzenten von der Preisentwicklung abgehängt.
Viele LandwirtInnen kritisieren die aktuellen Milchpreise, die oft nicht ausreichen, um die steigenden Produktionskosten zu decken. Höhere Kosten für Energie, Futtermittel und Dünger belasten die Betriebe, während die Preise für Milchprodukte im Handel kaum steigen. Besonders in Bergregionen, wo die Bedingungen erschwert sind, ist die Unzufriedenheit gross. Die LandwirtInnen beklagen, dass sie oft nur «Restgeldempfänger» seien – während andere Beteiligte entlang der Wertschöpfungskette mehr verdienen. «Alle anderen können ihre Kosten decken – wir müssen nehmen, was uns geboten wird», lautet eine Antwort in der Umfrage.
Umstrittene Einteilung
Ein weiteres Problem ist die sogenannte Milchsegmentierung. Dieses System, das 2011 eingeführt wurde, teilt Milch in unterschiedliche Preis- und Verwendungssegmente ein. Entscheidend für die Zuordnung ist das Endprodukt, in das die gelieferte Milch fliesst.
Das System sollte eigentlich den Markt stabilisieren, führte jedoch zu Ungleichheiten: MilchproduzentInnen erhalten für qualitativ gleichwertige Milch unterschiedliche Preise – je nachdem, wofür die Milch verwendet wird.
Rund 60 Prozent der LandwirtInnen lehnen dieses System mittlerweile ab, weil sie es als intransparent und ungerecht empfinden. Die Abgrenzung zwischen den Segmenten sei oft nur schwer nachvollziehbar. «Zudem sehen die LandwirtInnen die Segmentierung als Instrument, um Milch zugunsten des Verarbeitungssektors und des Handels zu verbilligen, und äussern Bedenken punkto der ungleichen Marktmachtverhältnisse», erklärt Bettina Scharrer, Projektleiterin der Studie, in einer Mitteilung der Universität Bern. Die Segmentierung trage dazu bei, die Produktionsbedingungen zu verschleiern, und sie erschwere es, langfristig wirtschaftlich zu planen. Zudem wird kritisiert, dass die Interessen der Produzentenorganisationen nicht immer konsequent vertreten werden.
Mehr Dialog und Veränderungen
«Unsere Umfrage macht deutlich, dass aus Sicht der Milchproduzierenden Verbesserungsbedarf besteht», wird Bettina Scharrer weiter zitiert. Obwohl die Ergebnisse der Studie eine Momentaufnahme darstellten, hätten sie nach wie vor nichts an Relevanz eingebüsst; das hätten nicht zuletzt die verschiedenen Bauernproteste letztes Jahr gezeigt.
Viele LandwirtInnen fordern eine stärkere Einbindung in die Entscheidungsprozesse und einen Dialog auf Augenhöhe. Auch die Transparenz bei der Preisgestaltung und die Reduktion von Bürokratielasten stehen auf ihrer Wunschliste. «Die Bedürfnisse der Produzenten sollten in politischen Diskussionen mehr Gewicht erhalten», so Projektleiterin Bettina Scharrer in der Medienmitteilung der Universität Bern.
Es sei wichtig, gesellschaftlich und ökologisch geschätzte Praktiken zu fördern, die sowohl die Zufriedenheit der Milchbetriebe erhöhen als auch die Nachhaltigkeit stärken. «Es wäre zum Beispiel sinnvoll, auf politischer Ebene jene Anreize abzubauen, die eine starke Intensivierung der Milchwirtschaft Richtung High-Input-Produktion ohne ausreichende eigene Futterbasis begünstigen», wird Bettina Scharrer weiter zitiert. Dies würde eine standortgerechte, graslandbasierte Milchproduktion unterstützen. Gleichzeitig müsse darauf geachtet werden, dass Massnahmen und Abnahmebedingungen für nachhaltig wirtschaftende Betriebe nicht zum Nachteil werden. RENATE HODEL, LID.CH / REDAKTION
Die Studie finden Sie unter www.frutiglaender.ch im Bereich Web-Links.