Reben, die dem Pilz trotzen – und den Gaumen erobern
11.11.2025 SpiezIn Spiez trifft Tradition auf Innovation: Kellermeisterin Ursula Irion setzt mit neuen pilzwiderstandsfähigen Rebsorten auf frische, charaktervolle Weine – und zeigt, dass Nachhaltigkeit auch im Glas begeistern kann.
MARTIN NATTERER
Frische Weine ...
In Spiez trifft Tradition auf Innovation: Kellermeisterin Ursula Irion setzt mit neuen pilzwiderstandsfähigen Rebsorten auf frische, charaktervolle Weine – und zeigt, dass Nachhaltigkeit auch im Glas begeistern kann.
MARTIN NATTERER
Frische Weine wolle sie produzieren, erläutert die Winzerin Ursula Irion in einer aufschlussreichen «Nachlese» darüber, wie denn die Spiezer Lese dieses Sommers war. Ein Resümee also ist es geworden – doch zunächst müssen wir uns ein wenig in die fruchtige Materie «Wein» hineindenken.
Zweitgrösster Weinbaubetrieb im Kanton Bern
Unter der selbstbewussten Überschrift «Spiezer Alpine Weinkultur» tritt die frühere Rebbau Spiez Genossenschaft seit längerer Zeit auf. Zwar ist auch heute die Organisationsform immer noch eine genossenschaftliche, so wie seit 1927, doch unter der Ägide der Betriebsleiterin und Kellermeisterin Ursula Irion hat sie zu einem spürbaren Höhenflug angesetzt. Der Rebbau Spiez ist heute mit einer Fläche von rund 13 Hektaren der zweitgrösste Weinbaubetrieb des Kantons Bern, und ein gutes Dutzend Vollund Teilzeitmitarbeitende kümmern sich um die Rebberge.
Jahr für Jahr wird die gesamte Weinernte von Faulensee, Spiez und Spiezwiler im Keller des Schlosses verarbeitet und dort gekeltert. Zwischen 70 000 und 80 000 Flaschen Wein – so kann man der Website entnehmen – verlassen jährlich das Schloss. Über 3000 Privatkunden sowie 150 Gastronomiebetriebe konsumieren Spiezer Weine oder führen sie in ihrem Angebot. Ursula Irion verspricht sich besonders viel von den neuen «PIWI-Sorten», denn die ursprünglichen Rebsorten wie Blauburgunder oder Riesling sind klimatisch sensibler – auch weil sie sprichwörtlich etwas «dünnhäutiger» sind und damit Pilzen und Parasiten leichtere Angriffsflächen bieten. Besonders Pilze der Gattung Botrytis sind bedeutende Pflanzenschädlinge und führen zu Fäulnis der Früchte.
Was sind PIWI-Sorten?
Aber pilzwiderstandsfähige Neuzüchtungen, eben die PIWI-Sorten, sind in Spiez auf dem Vormarsch und belegen heute bereits gut 30 Prozent der dortigen Anbauflächen. PIWI steht dabei, wie es der Name sagt, für «pilzwiderstandsfähig».
Biologisch gesehen sind PIWI-Sorten hybride Rebsorten, die aus der Kreuzung der europäischen Spezies Vitis vinifera mit amerikanischen oder asiatischen Spezies entstehen. Ziel ist es, eine Rebe zu züchten, die hohe Resistenz gegen Pilz- und Parasitenkrankheiten aufweist und zugleich ansprechende Weine hervorbringt. Dadurch soll der Gebrauch von chemischen Produkten oder Pflanzenschutzmitteln im Weinberg auf ein Minimum reduziert werden, ohne auf die Qualität des Endproduktes zu verzichten. Diese in Spiez besonders gepflegten Sorten sind also weniger anfällig und brauchen weniger Pflanzenschutz. Auch können sie länger ausreifen und entwickeln eine optimale Frucht. Besonders gut bewähren sich dabei die beiden weissen Sorten Sauvignac und Souvignier Gris sowie der rote Cabernet Jura. Die daraus gewonnenen Weine aus Spiez, so erfährt man aus dem Gault-Millau-Führer, gelten heute bereits schweizweit als Vorbilder und Marksteine.
Hervorragende Frische im Sommer 2025
Ein besonders guter Sommer sei es 2025 in Spiez gewesen. Dies schlage sich vor allem in den neueren Rebsorten nieder, auch weil sie dieses Jahr sehr früh gereift seien und vor allem ihre Aromen voll entwickeln konnten.
Zu den Aromastoffen des Weines zählen die chemisch «Polyphenole» genannten Stoffklassen. Polyphenole weisen verschiedene antioxidative und entzündungshemmende Eigenschaften auf. Man habe, so die Winzerin Ursula Irion, dieses Jahr nur rund 50 Tonnen geerntet – nicht wie in anderen Jahren 70 und mehr Tonnen –, aber der Wein sei bereits vergoren, und sie denke, er werde «hervorragend».
Vor allem die Frische des diesjährigen Weines sei herausragend. Und weil sie frische Weine liebt, war sie glücklich über eine klimatische Gunst dieses Sommers: Besonders in den vor einigen Jahren neu angepflanzten Reben nahe der Spiezwiler Räumli-Schule habe sich das Traubenaroma sehr gut entwickelt, und «nicht nur der Zucker», sondern vor allem die typischen Aromen dieser Sorten seien zur vollen Reife gelangt.
Dies lag auch am diesjährigen Wetterverlauf, der besonders die früh reifenden neueren Sorten begünstigte, sodass sie schon Ende August geerntet werden konnten, während man mit den traditionellen Sorten noch bis Mitte September warten musste.


