Was das Tal Anfang 2014 bewegte
19.04.2024 RegionLOKALHISTORIE Zeitungen verfolgen Geschehnisse über längere Zeiträume, so auch der «Frutigländer». Blättert man in alten Ausgaben, fällt auf, wie lange manche Themen die Region bewegen. Vieles, was vor zehn Jahren seinen Anfang nahm, ist ...
LOKALHISTORIE Zeitungen verfolgen Geschehnisse über längere Zeiträume, so auch der «Frutigländer». Blättert man in alten Ausgaben, fällt auf, wie lange manche Themen die Region bewegen. Vieles, was vor zehn Jahren seinen Anfang nahm, ist bis heute aktuell.
In der Serie «Vor zehn Jahren» blicken wir regelmässig eine Dekade zurück und zeichnen nach, wie sich bestimmte Themen – oder Karrieren – entwickelt haben. Der heutige Teil umfasst den Zeitraum von Februar bis Mai 2014.
Die erste Kita im Tal
Berufstätige Mütter haben es nicht leicht: Nirgends im Tal gibt es eine Kindertagesstätte. Wer seinen Nachwuchs in Betreuung geben will, muss aktuell noch bis nach Hondrich fahren. Ein Viertel der dortigen Kita-Plätze ist mit Kindern aus dem Frutigland belegt. Die Lage verbessert sich, als Martina Klossner und Ursula Wandfluh Ende März 2014 in Frutigen die Türen ihrer Kita Kinderzimmer öffnen. Die neue Einrichtung befindet sich zunächst in einer Viereinhalbzimmerwohnung in der Postgasse 2 und bietet 14 Plätze. Während einer dreijährigen Pilotphase wird sich der Gemeinderat mit 20 000 Franken pro Jahr an den Kosten beteiligen, den grössten Anteil aber soll der Kanton leisten. Den ersten Monat betrachten die Kita-Leiterinnen als Eingewöhnungszeit. Der reguläre Betrieb beginnt im Mai – und mit ihm eine Erfolgsgeschichte. Zehn Jahre später wird die Kita Kinderzimmer auch in Reichenbach und Aeschi präsent sein. Unabhängig davon wird 2023 auch in Adelboden eine Kindertagesstätte mit zwölf Plätzen eröffnet.
Urnen-Triple in Adelboden
Die Adelbodner verlieren langsam die Geduld mit den «Alpenbad»-Initiatoren. Seit 2009 liegt bereits eine Baubewilligung für das 120-Millionen-Projekt vor, passiert ist aber – bis auf den Absprung der Investoren – nichts. Um die Baurechtnehmer unter Druck zu setzen, lanciert der Einheimische Christian Oester eine Gemeindeinitiative. Seine Forderung: Die bis im Herbst gültige Baubewilligung darf nicht verlängert werden. Obwohl eine solche Verlängerung rechtlich ohnehin nicht möglich wäre, gelangt die «Alpenbad-Initiative» im Februar 2014 vors Volk – und wird mit 87 Prozent der Stimmen angenommen.
Im selben Urnengang lehnen die Adelbodner den Kauf des Werkhofareals der Firma Burn & Künzi ab. Für 2,4 Millionen Franken ist der Landerwerb den StimmbürgerInnen offenbar zu teuer, denn drei Jahre später werden sie ihn unter günstigeren Konditionen doch noch absegnen. Deutlich angenommen wird aber der geplante Neubau am Standort des alten Gemeindehauses an der Dorfstrasse (siehe Bild). Hier sollen unter anderem fünf Alterswohnungen entstehen.
Wieder Gold für Kunz
Adolf Ogi schwärmt von den Olympia-Bedingungen in Russland, Hans Pieren posiert mit Wladimir Putin und mehrere einheimische SportlerInnen begeben sich auf Medaillenjagd – über Wochen begleitet der «Frutigländer» die Winterspiele 2014 in Sotschi. Die Ausbeute ist unterschiedlich: Während die Curlerinnen mit der Frutigerin Carmen Schäfer knapp die Bronzemedaille verpassen, schaffen es die Herren gar nicht erst in die K.o.-Phase. Noch ärgerlicher läuft es für Skicross-Olympiasieger Mike Schmid: Wegen einer Knieverletzung kann er kurzfristig nicht am Wettkampf in Sotschi teilnehmen.
Der grosse Wurf gelingt schliesslich dem Monoskifahrer Christoph Kunz: Wenige Wochen nach seinem dritten Weltcupsieg holt er sich nun auch noch seine zweite Paralympics-Goldmedaille. Entsprechend begeistert wird er Mitte März nach seiner Landung am Zürcher Flughafen von zahlreichen Fans und Journalisten begrüsst. Einen offiziellen Emfpang richtet ein paar Tage später seine Wohngemeinde Reichenbach aus.
Häkel-Champion aus Aeschiried
Einen Titel der etwas anderen Art schnappt sich Renate Lengacher aus Aeschiried: Sie ist die beste Häklerin des Landes. Bei der ersten Häkel-Schweizermeisterschaft, die Anfang 2014 in Olten stattfindet, setzt sie sich gegen ihre 18 Kontrahentinnen durch und zaubert binnen 9 Minuten und 19 Sekunden ihr Werk in der sogenannten Büschelmaschentechnik. Damit qualifiziert sie sich für die Teilnahme an der Weltmeisterschaft in Bayern, wo sie Dritte wird. Im Folgejahr wird sie erneut den Schweizemeistertitel holen, bevor der Wettkampf mangels TeilnehmerInnen eingestellt wird. Zu ihrem Hobby ist die Briefträgerin übrigens gekommen, weil sie sich beim Eishockeytraining ihrer Söhne die Wartezeit verkürzen wollte.
Von Unwettern geplagt
Auf diesen Tag warten die SpissenbewohnerInnen schon seit mindestens zwei Jahrzehnten: Am 3. Mai wird die wintersichere Strasse zwischen Ried und Gempelen eröffnet. Rund 100 Gäste nehmen am Einweihungsfest teil und feiern die Fertigstellung des 7,5-Millionen-Bauwerks, an dem sich die öffentliche Hand mit 7 Millionen Franken beteiligt. Der Weg bis dahin war allerdings beschwerlich: Mehrere Ideen wurden verworfen, bis 2004 endlich ein umsetzbares Projekt vorlag. Doch nach dem Spatenstich im Jahr 2009 wurde die Baustelle immer wieder von Unwettern heimgesucht, die tagelange Aufräumarbeiten zur Folge hatten. Nach einem schweren Felssturz im Jahr 2012 wurden gar Teile der Strasse verschüttet. Personen kamen glücklicherweise nicht zu Schaden.
Der Proporz-Gewinner
Die Grossratswahl 2014 birgt ein paar Überraschungen. Der Frutiger Hans Schmid (SVP) verliert seinen Sitz, obwohl er mit rund 6900 Stimmen das viertbeste Oberländer Ergebnis hat. An seiner Stelle zieht der Grünliberale Martin Egger (ebenfalls aus Frutigen) ins Kantonsparlament ein – mit gerade einmal 2900 Stimmen. Grund für dieses Resultat ist das Proporzverfahren, bei dem nicht die Kandidaten-, sondern die Parteienstimmen ausschlaggebend sind. Der «abgewählte» Schmid nimmt’s sportlich und betont, dass das Wahlsystem in Ordnung sei. Egger freut sich derweil auf sein erstes politisches Mandat. Trotz seiner Verpflichtungen als Postangestellter und Restaurantpächter will er sich voll reinhängen und unter anderem für einen «nachhaltigen Tourismus» politisieren.
Als grosse Wahlverliererin gilt die BDP, die allein im Oberland zwei von drei Sitzen einbüsst. Das einzige Oberländer Mandat holt die bereits amtierende Grossrätin Anita Luginbühl aus Krattigen. Sie bleibt ebenso im Parlament wie Jakob Schwarz (EDU), Christoph Berger und Hans Rösti (beide SVP).
Gold und Geheule
Das Heulen von knapp 2500 aufgeregten Hunden schallt im Februar durch Kandersteg: 230 Teams aus 17 Ländern messen sich an der diesjährigen Schlittenhunde-Weltmeisterschaft auf verschiedenen Strecken. Selbst aus Russland und Neuseeland sind sogenannte «Musher» mit ihrem Gespann angereist, um an dem dreitägigen Sportspektakel teilzunehmen. Das Wetter präsentiert sich winterlich – fast zu winterlich –, und auch die Medaillenausbeute der Schweizer kann sich sehen lassen: In den insgesamt 19 Kategorien ergatterten sie dreimal Gold, viermal Silber und zweimal Bronze.
Schillerndes Besitzertrio
«Drei Freunde leisten sich einen Naturpark», titelt der «Frutigländer» am 28. März 2014. Die neuen Mehrheitsaktionäre der Blausee AG seien «schillernde Schweizer Wirtschaftsexponenten», die offenbar auch privat gut miteinander auskämen. Stefan Linder hat sich als Marketingexperte und Co-Gründer des «Swiss Economic Forum» einen Namen gemacht, «Globetrotter»- CEO André Lüthi war 2012 Unternehmer des Jahres und Philipp Hildebrand ist Vizepräsident des weltweit grössten Vermögensverwalters BlackRock. Das Trio gibt an, den Blausee aus einer Verbundenheit heraus übernommen zu haben. Das «Juwel» solle seinen Charakter als Naturpark behalten, statt zu einem «Disneyland» zu werden. Gleichwohl wittern Linder, Lüthi und Hildebrand noch wirtschaftliches Steigerungspotenzial, vor allem im Winter. Über den Kaufpreis schweigen sich die drei aus. Dass sie Jahre später in einen Rechtsstreit mit dem nahen Steinbruch verwickelt sein würden, ahnen die drei sicher noch nicht.
«Goodbye» mit Misstönen
Zum Abschied ihres Dirigenten Stefan Ruchti erlauben sich die MusikantInnen der MG Krattigen einen kleinen Spass: Beim letzten Stück des letzten gemeinsamen Konzerts spielen sie absichtlich falsch. Später darf Ruchti in einem Liegestuhl Platz nehmen, während seine Nachfolgerin Renate Siegenthaler ihm Wein kredenzt und Gemeindepräsident Christian Kummer eine Laudatio auf ihn hält. In 14 Jahren habe der Dirigent 800 Proben und 200 Konzerte geleitet, die Juniorenband ins Leben gerufen und sich teilweise sogar als «Car-Chauffeur, Seelsorger, Aushilfsmusiker, Trychler oder OK-Mitglied» hervorgetan.
Spatenstich der Generationen
Erst nimmt die älteste Einwohnerin Reichenbachs eine Schaufel zur Hand, dann folgen Projektbeteiligte mittleren Alters und zu guter Letzt kommt ein Kind mit seinem Spielzeugbagger dazu: Der Spatenstich fürs neue Altersheim bezieht mehrere Generationen mit ein. Hier im Fröschenmoos soll für rund 20 Millionen Franken ein viergeschossiger Neubau mit 53 Bewohnerzimmern entstehen. Um das bestehende Heim von 1976 erdbebensicher zu machen, hätte die Pro Senectute ebenfalls bis zu 19 Millionen Franken investieren müssen – mit dem Nachteil, dass die BewohnerInnen zwischenzeitlich woanders hätten untergebracht werden müssen. Also entschied sich die Besitzerstiftung für den Neubau, was mit dem Spatenstich im April 2014 gefeiert wird.
Legale Lotterbuden
Im Frutigland gibt es mehrere altehrwürdige Hotels, die seit Jahren leerstehen und vor aller Augen verfallen. Ein bekanntes Beispiel ist das «Terminus» in Frutigen mit seinen zerbrochenen Fenstern und dem überwucherten Eingang. Ähnlich ergeht es dem «National» in Kandersteg und dem Standort «Schönegg» in Adelboden – wobei Letzterer wenigstens hinter einer grossen «Willkommen»-Blache versteckt wird. Dorfbewohner und Gemeindepolitiker ärgern sich gleichermassen über die «Schandflecken», doch dagegen unternehmen können sie im Grunde nichts. «Solange keine akute Gefahr von einem Gebäude ausgeht, muss dieses durch die Eigentümerschaft nicht unterhalten werden», erklärt Bruno Küenzi vom Amt für Gemeinden und Raumordnung gegenüber dem «Frutigländer». Also bleibt oft nicht viel mehr als Abwarten – und wie die weitere Entwicklung der drei Gebäude noch zeigen wird, ergibt sich für die meisten Probleme früher oder später eine Lösung.
Verfrühter Optimismus
Geduld ist in der Lokalpolitik ohnehin ein wichtiger Wert, wie man an der Themensetzung des «Frutigländers» sieht. Im März 2014 titelt die Zeitung, die Frutiger «Hochwasserschutzprojekte kommen voran». Und über die Legislaturziele der Gemeinde Adelboden heisst es: «Die Altlasten ‹Entlastungsstrasse Dorf› und ‹Anbindung der Talstation der Bergbahnen Adelboden AG an den öffentlichen Verkehr› stehen im Pflichtenheft an erster Stelle.» Neun Jahre später werden die Adelbodner Obmann-Kandidaten mit diesen beiden Themen in den Wahlkampf ziehen. Und beim Frutiger Hochwasserschutz wird es weiterhin harzen.
BIANCA HÜSING