Was wären wir ohne die Berge?

  10.12.2024 Gesellschaft

Bergregionen sind Lebensraum und Erholungsgebiet, sie wirken trennend und fördern seit jeher den Austausch. In Zukunft werden sie auf Unterstützung noch stärker angewiesen sein – nicht nur finanziell.

MARK POLLMEIER
Donald Trump ist noch nicht im Amt, aber er macht natürlich schon Politik – zum Beispiel mit der Androhung von Zöllen. Und wem diese Zollpläne nicht gefallen, der bekommt es schon mal mit Trumps robustem Humor zu tun. So erging es etwa dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau. Als der wirtschaftliche Bedenken äusserte, veröffentlichte Trump via Social Media das nebenstehende Bild. Er werde Kanada einfach zum 51. Bundesstaat der USA machen, witzelte der Trump. Problem gelöst!

Das kanadische Matterhorn
Das Problem war nur: Das Bild zeigte einen Berg, der verdächtig nach dem Matterhorn aussah. War es ein Fehler der KI? Sollte es eine Botschaft an die Schweiz sein?

Alsbald entspann sich eine Debatte darüber, welchen Berg Trump denn nun gezeigt hatte. Geografiespezialisten wandten ein, dass es in Kanada einen Berg gebe, der dem Matterhorn ähnlich sei: den 3618 Meter hohen Mount Assiniboine in den Rocky Mountains.

Weil Trump sich zu der Diskussion nicht mehr geäussert hat, bleibt offen, welchen Gipfel er denn nun tatsächlich zeigen wollte. Die Anekdote verdeutlicht jedoch eines: Berge sind weit mehr als nur grosse Steinhaufen. Sie sind Identität, sie prägen die Kultur und das Denken ihrer Bewohner. In Musik, Literatur oder Religion spielen Berge seit jeher eine besondere Rolle. In der Bibel sind sie der Ort, an dem die Menschen Gott begegnen. Und als der Kandergrunder Pfarrer Karl von Greyerz den Choral «Grosser Gott, wir loben dich» umschrieb, war für ihn klar, dass darin die Berge vorkommen müssen. «Unser Land mit seiner Pracht, seine Berge, seine Fluren, sind die Zeugen deiner Macht ...»

Bergregionen bieten rund um den Globus eine grosse kulturelle Vielfalt. Weil sie unzugänglich sind oder waren, bildeten sich in jeder Region, teilweise in jedem Tal, eigene Fertigkeiten, Dialekte und Traditionen heraus, die über lange Zeiträume unverändert weitergegeben wurden.

Der 11. Dezember: ein Tag für die Berge
Es ist ist also kein Wunder, dass die Berge ihren eigenen Gedenktag haben. Jedes Jahr am 11. Dezember ist der «International Mountain Day», 2003 eingeführt von der UN-Vollversammlung. Sein Zweck ist es, die Bedeutung einer intakten Bergwelt zu betonen und die nachhaltige Entwicklung in den Bergregionen zu fördern. Auch die Probleme der Berglandschaften sollen an diesem Tag thematisiert werden – und davon gibt es in der Tat einige.

Ein Problem ist der Klimawandel, der dazu führt, dass Bergregionen unbewohnbar werden, sei es aus geologischen oder aus ökologischen Gründen wie etwa dem Wassermangel. Aber auch ohne solche Gefährdungen ist das Berggebiet bedroht – jedenfalls aus menschlicher Perspektive. Während die Bevölkerung an vielen Orten wächst, sind viele Bergregionen vom Gegenteil bedroht: von Abwanderung und Entvölkerung, auch in der Schweiz. Zwar haben sich die Lebensbedingungen angeglichen, die meisten Orte sind gut erschlossen. Doch der Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen sowie anderen Dienstleistungen ist in städtischen Regionen besser, was gerade die Jüngeren zum Wegziehen bewegt.

Der Zukunftsvertrag der Alpenländer
Die heraufziehenden Probleme wurden früh erkannt. Schon vor über 30 Jahren unterzeichneten acht Alpenländer einen Vertrag, der nachhaltiges Leben in den Alpen und den Schutz der gesamten Gebirgskette fordert. In dieser sogenannten Alpenkonvention geht es um Naturschutz und Tourismus, um Land und Forstwirtschaft im Berggebiet, aber auch um die soziale Komponente. So wird explizit «die Förderung des gegenseitigen Verständnisses und partnerschaftlichen Verhaltens zwischen alpiner und ausseralpiner Bevölkerung» gefordert. Deutschland, Frankreich, Italien, Liechtenstein, Monaco, Österreich, Slowenien und die Schweiz verfolgen damit schon lange jene Ziele, die sich der «International Mountain Day» auf die Fahne geschrieben hat.
Vor allem die gesellschaftliche Dimension, das gegenseitige Verständnis, wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen. In demokratischen Staaten wird gemeinschaftlich über das Geld entschieden, sei es in Parlamenten oder, wie in der Schweiz, direkt von der Bevölkerung. Im gesamten Alpenraum leben heute rund 14 Millionen Menschen. Die Zahl derjenigen, die nicht in den Bergen leben und arbeiten, ist um ein Vielfaches grösser. Das Berggebiet ist also davon abhängig, dass die Mehrheit bereit ist, die nötige Unterstützung zu bewilligen, sei es für die Wirtschaftsförderung, für den Erhalt der Infrastruktur oder die Abwehr von Naturgefahren. Noch ist in den meisten europäischen Ländern genug Solidarität vorhanden, all das zu finanzieren. Doch die Kosten werden, nach allem, was man heute weiss, weiter wachsen. Ein einziges Naturereignis wie Hochwasser oder ein Murgang kann Millionen- oder gar Milliardenschäden verursachen. Was, wenn die Mehrheit nicht mehr bereit ist, für den Wiederaufbau in den wirtschaftlich vergleichweise unbedeutenden Bergregionen zu zahlen? Heute scheinen solche Überlegungen in weiter Ferne. Doch mit zunehmender Katastrophenhäufigkeit sind sie keineswegs ausgeschlossen.

Auf die Vermittlung kommt es an
Es wird in Zukunft also noch stärker darum gehen, den Wert der Berge zu verdeutlichen. Dieser Aufgabe widmet sich etwa das Urner Institut Kulturen der Alpen, das an der Universität Luzern angesiedelt ist. Es hat sich den Besonderheiten des alpinen Raums verschrieben – von den prähistorischen Zeugnissen über die vielfältigen Traditionen bis hin zu den Herausforderungen der Gegenwart.

Eine Berner Institution ist das ALPS Alpines Museum der Schweiz. Es setzt seine Themen nach eigener Auskunft «dort, wo die Gesellschaft in Bewegung ist, wo keine einfachen Antworten möglich, aber Diskussionen nötig sind: bei Umwelt, Natur und Klimawandel, beim Verhältnis von urbaner und alpiner Welt».

Ob an Universitäten, in Museen oder in der Politik, die Berge werden solche Vermittler brauchen: Menschen und Institutionen, die sich für sie einsetzen und ein gutes Wort für sie einlegen.

Die Links zur Alpenkonvention, zum Urner Institut Kulturen der Alpen und zum Alpinen Museum finden Sie unter www.frutiglaender.ch


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