Wenn Mist zum Ausstellungsstück wird
13.04.2018 Region, KulturKaum ein Tier ist so wichtig für die Schweiz wie die Kuh. Das Freilichtmuseum Ballenberg widmet ihr daher eine neue Sonderausstellung. Auf drei Etagen zeugen 1000 mehr oder weniger alltägliche Objekte davon, wie vielfältig das Verhältnis zwischen Mensch und Nutztier seit jeher ist. ...
Kaum ein Tier ist so wichtig für die Schweiz wie die Kuh. Das Freilichtmuseum Ballenberg widmet ihr daher eine neue Sonderausstellung. Auf drei Etagen zeugen 1000 mehr oder weniger alltägliche Objekte davon, wie vielfältig das Verhältnis zwischen Mensch und Nutztier seit jeher ist.
BIANCA HÜSING
Aus den Kopfhörern ertönt ein langgezogener Schrei, vielleicht ist es auch Gesang. Eine Männerstimme segnet eine Alphütte, irgendwer pfeift munter eine Hirtenweise vor sich hin. Von der Decke blicken schaurige Masken mit grau-filzigem Haar auf den bequemen Stuhl des Besuchers herab. Das Möbelstück sieht um einiges moderner aus als der hölzerne Melchter nebenan, den Bauern zu einem Hocker umfunktioniert haben.
«Es ist der Senn ein ehrlicher, aufrichtiger Mann, ein Abdruck der alten Schweizerischen und redlichen Einfalt, sowohl in seinem Leben als Tun», beschreibt der Gelehrte Johann Jakob Seuchzer mit Worten, was die Augen in dieser Miniatur-Alp hinter einem Vorhang zu sehen bekommen. Einfachste Werkzeuge, Melkinstrumente, Behälter – Zeugnisse harter Arbeit und genügsamen Lebens mit der Kuh.
Doch geht es auch anders. Im Eingangsbereich stellt ein Appenzeller Senn seinen Stolz mit bunter Tracht, verziertem Ohrring und ordenähnlichem Silberschmuck zur Schau. Das Verhältnis der Schweizer zu ihrem wohl wichtigsten Nutztier hat viele Facetten – diese Erkenntnis zieht sich durch die gesamte Ausstellung «Die Kuh: 1000 Dinge und echter Mist» am Ballenberg.
Vom Stall bis ins Wohnzimmer ...
Da wäre die Kuh in ihrer wohl bekanntesten Rolle: Als Milchproduzentin verhilft sie dem Schweizer Käse seit Jahrhunderten zu weltweitem Ruhm. Järbs (Holzringe für Käselaibe) in allen Grössen, historische Harfen und Käsebrecher gewähren Einblick in diese immer noch lebendige Tradition. Doch zum stolzen Handwerk gehört auch die ganz pragmatische Arbeit drumherum. Schwarz-weiss-Fotografien zeigen Frauen und Kinder mit ernster Miene und schweren Heuballen, an der Decke hängen robuste Rechen neben echtem Gras.
Weniger bekannt ist die Kuh in ihrer Funktion als Touristikerin. Dabei beweisen alte Werbeplakate und vierbeinige Holz-Souvenirs, dass sich mit dem Tier viele Reisende ins Land locken liessen. Wenn Fremdenverkehr-Profis heute von Swissness reden, meinen sie insgeheim wohl die Kuh. Mit derart nützlichen Eigenschaften hat sie es schliesslich bis in die Wohnzimmer der Menschen geschafft – als Kunstobjekt, Spielzeug oder Gemälde. Sogar Familienfotos vervollständigt sie mitunter.
… und ins Schlachthaus
Buchstäblich auf der Kehrseite der Medaille respektive der Ausstellung wird der Besucher aber auch daran erinnert, dass die Kuh bei aller Zuneigung stets ein Nutztier bleibt. Eine Schwelle am Boden trennt das Zierkuh-Idyll von einer kleinen Nebenkammer. Hier sieht man, hinter massiven Holzgittern halb verborgen, eine Reihe alter Schlachtinstrumente drapiert. Der Boden unter ihnen ist rot, an der Wand zeigt ein grosses Foto die Innenansicht eines Schlachthauses. «Nichts für empfindliche Gemüter» warnt ein Heft, in dem blutbespritzte Leibchen und Kuhköpfe in Schubkarren abgebildet sind. Zum Glück der Empfindlichen ist dieser Raum nicht allzu stark beleuchtet …
Kurz vorm Ausgang findet man die Kuh abermals in einer neuen Rolle wieder: als stattliches Zuchttier, mit dessen Schönheit man Preise gewinnen kann. Wer etwas länger durch die Ausstellung schlendert, bekommt alle 15 Minuten ein eigentümliches Geläut zu hören. Es stammt von einer wuchtigen Installation, bei der mechanisch Bälle hochgepumpt werden und gegen Saanenländer Glocken schlagen. Die Decke darüber gleicht einem Meer aus Treicheln.
«Minimste» Mittel und Kuhdung
Ein gutes Jahr hat das Ballenberg-Team an seiner morgen startenden Ausstellung gearbeitet – ein denkbar knappes Zeitbudget, wie Betriebsdirektor Peter Kohler findet. Mit Sachkosten von 200 000 Franken habe man zudem «minimste» finanzielle Mittel aufgewendet. Der Kopf hinter der Kuh-Schau ist Kurator Samuel Studer, der seit vier Jahren im Freilichtmuseum arbeitet und neu für den Bereich Sammlung und Ausstellungen verantwortlich ist. «Die Kuh prägte und prägt bis heute Landschaften, Wirtschaft, Sprache, Ernährung und Identität der Schweiz», erklärt Studer. «Fast jede und jeder kann von einem persönlichen Erlebnis mit Kühen erzählen. Sie sind allgegenwärtig.»
Mit seinen durchdachten und klug in Szene gesetzten Arrangements ist es dem Spiezer Kuratoren gelungen, dass wohl auch mancher Ausstellungsgast anschliessend eine Geschichte zu erzählen weiss. Zum Beispiel über Mist. Wie der Ausstellungstitel verrät, wird selbst richtiger Kuhdung in einer Vitrine präsentiert: stilecht auf einem schmucken Teller.
Die Ausstellung «Die Kuh: 1000 Dinge und echter Mist» ist ab Samstag drei Jahre lang im Bauernhaus von Ostermundigen auf dem Ballenberg-Gelände zu sehen.