Steuersenkung für Unternehmen – unfair oder unvermeidlich?
19.10.2018 Region, PolitikBern ist für Unternehmen ein teures Pflaster – zumindest im Vergleich mit anderen Kantonen sind die Gewinnsteuern hier hoch. Die Regierung will das ändern, stösst dabei jedoch auf Widerstand. Aus Sicht der Gegner geht der Entscheid zulasten von Gemeinden und ihren Bürgern. ...
Bern ist für Unternehmen ein teures Pflaster – zumindest im Vergleich mit anderen Kantonen sind die Gewinnsteuern hier hoch. Die Regierung will das ändern, stösst dabei jedoch auf Widerstand. Aus Sicht der Gegner geht der Entscheid zulasten von Gemeinden und ihren Bürgern.
BIANCA HÜSING
Frutigen hat demnächst 260 000 Franken weniger in der Haushaltskasse – das entspricht in etwa jenem Betrag, den die Gemeinde voraussichtlich zur Sanierung der Tellenburg beisteuert. Auch Adelboden (-82 000 Franken) und Reichenbach (-38 000 Franken) sowie alle anderen Gemeinden auf Kantonsgebiet werden weniger Geld zur Verfügung haben. Grund dafür ist die Revision des kantonalen Steuergesetzes. Damit Bern im Wettbewerb um die tiefsten Unternehmenssteuern halbwegs mithalten kann, will der Kanton den heutigen Spitzensatz von 21,64 Prozent in zwei Schritten senken: 2019 auf 20,20 Prozent und 2020 auf 18,71 Prozent.
Auf diese Weise will die Regierung verhindern, dass Firmen in andere Kantone abwandern und Arbeitsplätze mitnehmen. Die bürgerlich-liberale Mehrheit im Grossen Rat stimmte dem Gesetz vor einem knappen Jahr zu. Schon damals kündigte sich jedoch ein Referendum von links-grüner Seite an – man wolle «keine Steuergeschenke für Grosskonzerne» verteilen.
Spitex-Klienten greifen tiefer in die Tasche
Weil das Referendum mit rund 14 000 Unterschriften zustande gekommen ist, bleibt das letzte Wort am 25. November beim Stimmvolk. Und wer glaubt, dass eine Vorlage mit dem Titel «Änderung des Steuergesetzes» kaum Leute an die Urne bringt, mag sich täuschen – das Thema hat durchaus eine emotionale Komponente. Denn um die jährlichen Mindereinnahmen von 103 Millionen Franken (ab 2020) gegenzufinanzieren, hat der Kanton im November diverse Sparmassnahmen verabschiedet, die vor allem zulasten sozialer Einrichtungen gehen: Die Spitex ist davon ebenso betroffen wie Behinderten- und Bildungseinrichtungen. Laut Referendumskomitee muss jemand, der auf Spitex-Leistungen angewiesen ist, künftig bis zu 500 Franken mehr im Monat zahlen.
Zwar ist das «Entlastungspaket 2018» beschlossene Sache und steht auch nicht zur Abstimmung. Dennoch schwingt es im Argumentarium der Gegner stets mit, die aus der Steuerreform eine Frage der Gerechtigkeit machen: Die Kleinen sollen leiden, damit die Grossen entlastet werden? Die Kleinen – das sind aus Sicht des Referendumskomitees auch die Gemeinden und Kirchgemeinden, denen nach der Steuersenkung 58 Millionen Franken weniger zur Verfügung stehen. Diese Lücke müssten über kurz oder lang die Bürger mit höheren Steuern füllen – so zumindest die Befürchtung von SP, Grünen und Gewerkschaften. Schon heute seien es natürliche Personen, die mit 90 Prozent den grössten Anteil an den kantonalen Steuereinnahmen leisteten.
Nur drei Kantone sind noch teurer
Die Befürworter der Gesetzesrevision halten sowohl das Sparpaket als auch den Steuerausfall von 103 Millonen Franken für vertretbar. Auch würden die Gemeinden keineswegs so leiden wie von den Gegnern dargestellt. Durch die ebenfalls 2017 beschlossene Neubewertung der Liegenschaften würden sie mindestens 64 Millionen Franken mehr einnehmen – dies allerdings auf Kosten von Grundstücksbesitzern, die höhere Steuern entrichten müssen.
Trotzdem ist die Gesetzesänderung nach Meinung der Kantonsregierung und des Ja-Komitees unumgänglich. Bern sei hinsichtlich der Steuerbelastung einer der unattraktivsten Kantone – nur im Wallis, in Basel-Stadt und in Genf zahlen Unternehmer noch mehr. Während die meisten Kantone ihre Gewinnsteuern in den letzten Jahren gesenkt hätten, habe es in Bern seit 2001 keine Änderung mehr gegeben. «Dieser Steuerwettbewerb besteht – ob man ihn will oder nicht», betonte Adrian Haas (FDP) in der Grossratsdebatte. Auch nach der Revision befinde sich der Kanton Bern nur im Mittelfeld. Doch ein gänzlicher Abfall – und mit ihm ein Verlust von Arbeitsplätzen – könne dadurch vielleicht verhindert werden.
Auch das Argument, dass vor allem Grossunternehmer von der Steuersenkung profitieren würden, lassen die Befürworter nicht gelten. Der höchste Satz von heute 21,64 Prozent gilt für Firmen, die einen Jahresgewinn von mehr als 63 000 Franken erzielen. Von den insgesamt 5199 Firmen, auf die das zutrifft, fallen laut Regierungsrat 5000 in die Kategorie KMU.
Annäherung an Liechtensteiner Niveau
Zugespitzt formuliert stehen sich in der Debatte zwei klassische politische Kampfbegriffe gegenüber: Gerechtigkeit und Arbeitsplätze. Welches Argument besser verfängt, entscheidet sich am 25. November. Sollte das Steuergesetz durchkommen, dürfte die Änderung allerdings nur von kurzer Dauer sein. Bereits 2021 plant der Kanton die nächste Revision, im Zuge derer er eine neuerliche Steuersenkung prüfen will. Auch Ungleichbehandlungen zwischen quellenbesteuerten und ordentlich besteuerten Personen sollen dann abgebaut werden.
Grund sei die «Steuervorlage 17» des Bundes, die bereits jetzt viele Kantone zu tieferen Gewinnsteuern bewege. Hätten die Kantone damit Erfolg, läge der schweizweite Schnitt nur noch bei 14,13 Prozent (heute: 17,71). Das entspräche fast dem Liechtensteiner Niveau von 12,5 Prozent. In allen anderen Nachbarländern der Schweiz fallen höhere Unternehmenssteuern an als in Bern heute.