Wie viele Gäste «erträgt» die Region?
06.11.2018 Region, TourismusIn- und ausländische Gäste bringen den Destinationen den nötigen Verdienst, viele Betriebe sind von ihnen abhängig. Der Gästeansturm kann aber auch negative Folgen haben – schnell spricht man dann von «Overtourism». Wie hat etwa Kandersteg den ungewöhnlich schönen Sommer ...
In- und ausländische Gäste bringen den Destinationen den nötigen Verdienst, viele Betriebe sind von ihnen abhängig. Der Gästeansturm kann aber auch negative Folgen haben – schnell spricht man dann von «Overtourism». Wie hat etwa Kandersteg den ungewöhnlich schönen Sommer verkraftet?
PETER ROTHACHER
Die Region zuhinterst im Kandertal hat einen touristisch intensiven Sommer und Herbst hinter sich. Einerseits hat das Instagram-Video eines Reisebloggers auf der Rodelbahn beim Oeschinensee sehr viele Nutzer angelockt. Andererseits hat das Prachtwetter zahlreiche Wanderer mobilisiert. Man spricht in der einheimischen Bevölkerung bereits von Overtourism und beklagt sich über Verkehrslawinen sowie Mehrabfall.
Der dazu vom «Frutigländer» befragte Kandersteger Gemeinderatspräsident Urs Weibel nimmt nach Rücksprache mit TALK wie folgt Stellung: «Jede Medaille hat zwei Seiten. Gut besuchte Destinationen müssen mit dem Verhalten ihrer Besucher in Bezug auf Reise- und Essgewohnheiten leben. Das führt unter anderem zu Verkehr und zu Abfall. Die TV-Sendungen mit Nick Hartmann oder Michael Weinmann, die Beiträge auf Instagram und YouTube sowie weitere Marketingmassnahmen haben ihre Wirkung gezeigt.»
Unterschiedliche Besucher-Interessen
Die Besucher hätten sich zu Spitzenzeiten mit Wartezeiten abfinden müssen. «Im Gelände selber verteilten sich die Besucher entsprechend ihren unterschiedlichen Interessen aber gut», weiss Weibel. Mit geeigneten Massnahmen bei der Besucherführung und Parkplatzeinweisung habe der Ansturm gut bewältigt werden können. «Dieser beschränkte sich meistens auf den Zeitraum von 11.00 bis 14.00 Uhr.»
Für die Abfallentsorgung sind laut Weibel die Bergbahnen und die Gemeinde zuständig. «Am Oeschinensee, wo das Problem am grössten war, konnte mit der Gondelbahn eine gute Lösung gefunden werden. Hotellerie, Bahn und Gemeinde tragen die Kosten gemeinsam.» Auf die Verkehrsstaus im Gebiet Blausee angesprochen, meint der Gemeinderatspräsident: «Es mag vorgekommen sein, dass Gäste verspätet in Kandersteg eingetroffen sind; der AFA-Bus hatte gelegentlich Mühe, den Fahrplan einzuhalten. Das passiert aber auch anderswo.» Die vom Blausee getroffenen Verkehrsregelungsmassnahmen hätten dazu beigetragen, «dass der Verkehr bei grossem Andrang in beiden Richtungen wieder besser fliesst.»
Die Besucherlenkung bewährt sich
David Wandfluh, Verwaltungsratspräsident der GKO (Gondelbahn Kandersteg-Oeschinensee), meint zum Sommerergebnis: «Es war einfach toll. Das konstant schöne Wetter brachte uns ebenso konstant viele Besucher. Und dieser breite Gästefluss ist leichter zu handhaben, als wenn es extreme Schwankungen mit Besucherspitzen und -tiefs gibt.» Zudem habe sich die Besucherlenkung für Automobilisten und Fussgänger – gut ein Drittel der Gäste kämen mit dem Zug – sehr bewährt. Als A-Partner der BLS lobt er die Zusammenarbeit mit dem ÖV. «Die Wartezeiten bei unserer Kasse halten wir mit Mobile Ticketing und Ticketautomaten auch sehr im Rahmen.» Um die Qualität vor Ort weiter zu verbessern, soll der Einstieg bei der Bergstation mit einer Halle optimiert werden.
Rund 30 Prozent der Gäste besuchen laut Wandfluh zudem den See zu Fuss, ohne Gondelfahrt. Den «Ghüder» habe man mit einem zusätzlichen Container am See und der täglichen Entsorgung recht gut im Griff. Die Kosten würden von den regionalen Anbietern und der Gemeinde getragen. «Gäste loben mittlerweile schon die so erzielte Sauberkeit. Und dank dem steigt auch die Hemmschwelle, Sachen einfach wegzuwerfen.»
Vermehrt auch wieder jüngere Gäste
Ebenfalls bei der im Jahr 1995 in Betrieb genommenen Rodelbahn verzeichne das Unternehmen bis heute konstante Frequenzen. Man halte generell am Bewährten fest, sagt Wandfluh. Mit günstigeren Morgenpreisen werde einzig versucht, diese sonst ruhigere Zeit zu beleben.
Und etwas freut David Wandfluh in Kandersteg besonders: «Vermehrt haben jüngere Leute die Berge wiederentdeckt. Personen zwischen 20 und 30 Jahren.» Um dieser Altersgruppe zu entsprechen sei das Shopangebot angepasst worden. «Zudem bietet das Berghotel jetzt für diejenigen Leute, welche nicht gross im Restaurant verweilen möchten, Grillsets mit Feuerholz und passendem Proviant an.»
Sommersaison hilft, den Winter zu stützen
Wenn René Maeder im Zusammenhang mit Kandersteg den Begriff Overtourism hört, läuten bei ihm die Alarmglocken. Auch wenn er auf Facebook liest: «Endlich haben wir Kandersteg wieder für uns.» Als passionierter Gastgeber und Co-Präsident des Kandersteger Hotellerie-Vereins betont er: «Unser Gewerbe ist generell auf Einkünfte angewiesen. Und der gute Sommer hilft nicht unwesentlich, die eher schwache Wintersaison zu stützen.»
Der Touristiker spricht in Bezug auf seine beiden Häuser – Doldenhorn und Ruedihus – von einem Spitzensommer: «In der Hotellerie verzeichneten wir im August eine Auslastung von über 90 Prozent, das beste Ergebnis der letzten 20 Jahre.» Im Tagesgeschäft sei es zeitweise wie bei einem Autobahnrestaurant zu und her gegangen. «Wartezeiten in Kauf nehmen mussten Gäste aber höchstens an 5 bis 6 Tagen, und das hatte auch kaum Reklamationen zur Folge.» Für ein gutes Jahr seien hauptsächlich die Monate Mai/Juni und Oktober bis Dezember entscheidend. Heuer könne man aber schon von einem aussergewöhnlichen Sommer sprechen. «Doch die Region Kandersteg hat so viel zu bieten, da muss nicht unbedingt am Wochenende der Oeschinensee oder der Blausee auf dem Programm stehen.»
Eine sanfte Steigerung ist erwünscht
Bezüglich dem Verkehrsaufkommen auf der Strasse meint René Maeder: «Der Autoverlad Kandersteg – Goppenstein ist nun mal sehr gut frequentiert. Beim Blausee hat sich die Situation in letzter Zeit verbessert. Problematischer ist da schon die Ampel in Reichenbach.»
Kandersteg müsse sich als «Ort, der nicht verbaut wird» weiterentwickeln. «Die Hochsaison läuft in der Regel gut, die Zwischensaison hat noch Steigerungspotenzial.» Eine Steigerung der Tourismusfrequenz von 1 bis 2 Prozent pro Jahr sei anzustreben und auch zu verkraften, meint Maeder.