Kammermusik in der Fabrikhalle
03.09.2019 Frutigen, Kultur, AdelbodenEine ausgefallene Spielstätte, klangvolle Spaziergänge und eine Prise Jazz: Das diesjährige Swiss Chamber Music Festival hat einige Neuerungen auf Lager. Sie alle zielen darauf ab, ein breiteres Publikum anzusprechen. An vorderster Front engagiert sich dafür auch der neue Präsident ...
Eine ausgefallene Spielstätte, klangvolle Spaziergänge und eine Prise Jazz: Das diesjährige Swiss Chamber Music Festival hat einige Neuerungen auf Lager. Sie alle zielen darauf ab, ein breiteres Publikum anzusprechen. An vorderster Front engagiert sich dafür auch der neue Präsident des Vereins.
BIANCA HÜSING
Es ist erstaunlich, welche Stimmungen man mit einem Holzkessel, einem Fell und einem Stock erzeugen kann – aus viel mehr besteht ein Schlagzeug im Prinzip ja nicht. Und viel mehr braucht auch Till Lingenberg nicht, um ein ganzes Orchester zu dominieren. Ob dem Genfer Perkussionisten dies auch am 15. September in Frutigen gelingen wird? An jenem Abend gibt es gleich zwei, die ihm theoretisch die Show stehlen könnten: Seine Duo-Partnerin Chiao-Yuan Chang – ihres Zeichens ebenfalls «Drummerin» – und der ungewöhnliche Aufführungsort. In ihrer Tradition, auch ganz profane Orte in Konzertsäle umzufunktionieren, haben sich die Organisatoren des Swiss Chamber Music Festivals (SCMF) diesmal für einen Tag in die ehemalige Zündholzfabrik eingemietet.
Im Zentrum steht das Hören
«Von diesem Veranstaltungsort versprechen wir uns in der Tat einiges», schwärmt Peter Wüthrich, der den Trägerverein seit Februar präsidiert. Nicht nur soll die Akustik eine ganz besondere sein. Auch passe die Fabrikhalle hervorragend zum Grundgedanken des SCMF: unvoreingenommen zuzuhören. «Im Zentrum steht für uns die Musik und nicht irgendein elitärer Raum.» Hier, inmitten einer alten Produktionsstätte mit eigener Geschichte, komme es nicht darauf an, wer sich wie gut mit Kammermusik auskenne und welche Kleidung man trage. Stattdessen könnten hier verschiedene Menschen verschiedene Zugänge zur Musik finden und sich in ungezwungener Atmosphäre darüber austauschen – so zumindest Wüthrichs Hoffnung.
In die gleiche Kerbe schlagen die Hörspaziergänge, die in der zweiten Festivalwoche anderthalb Stunden vor jedem Konzert angeboten werden und in deren Zentrum das vorurteilsfreie Hören steht. Erstmals wird auch Jazz ins Workshop-Programm integriert. Der Schweizer Pianist Stewy von Wattenwyl ermöglicht den TeilnehmerInnen erste Gehversuche im Jazz und in anderen groovebetonten Stilrichtungen – inspiriert vom österreichischen Komponisten und Pianisten Friedrich Gulda.
Kommunikationsprofi mit Alphorn-Flair
Neu sind dieses Jahr aber nicht nur verschiedene Programminhalte, sondern auch eine zentrale Person: Peter Wüthrich. Im Festivalführer warnt der frisch gekürte Präsident gleich zu Beginn: «Googlen Sie mich, um Himmels willen, nicht. Sie fänden mich nur stückchenweise.» Der Zugang des Bielers zur Kammermusik erschliesst sich tatsächlich nicht auf den ersten – und vermutlich auch nicht auf den zweiten – Klick. Dass er an der Eidgenössischen Hochschule für Sport in Magglingen arbeitete (32 Jahre lang), dort Kommunikation unterrichtete und den Bereich Lehre leitete: All das lässt sich mehr oder weniger direkt übers Web herausfinden. Dass er als Kind in einer Jugend- und später in einer Guggenmusik Trompete gespielt und damit den Grundstein zu seiner spät entdeckten Passion fürs Alphorn gelegt hat, erfordert hingegen etwas mehr Rechercheaufwand.
Vor 20 Jahren hat Wüthrich seriös mit dem Alphornspiel begonnen, inzwischen ist er Teil einer traditionellen Formation und eines eher rockigen, semi-professionellen Trios. «Meine Kenntnisse in Sachen Kammermusik muss ich zwar noch vertiefen», gesteht er. «Aber ein Flair dafür habe ich definitiv!» Im Vereinsvorstand habe es aber ohnehin ausgewiesene ExpertInnen fürs Musikalische, seine Rolle sei schlicht eine andere – und hier kommt wieder der Kommunikationsprofi ins Spiel.
«Wir sind uns unseres Nischendaseins bewusst»
Wüthrichs erklärtes Ziel ist es, positive Energie in den Vorstand zu bringen und diesen zu ermutigen, das Festival strategisch weiterzuentwickeln. Auch will er mehr Menschen aus allen Gesellschaftsschichten an die Musik heranführen. Halb Biel dürfte inzwischen mindestens einmal eindringlich aufs Festival im Kandertal aufmerksam gemacht worden sein. «Wir sind uns unseres Nischendaseins bewusst», so Wüthrich. «Aber wir können die Menschen ermutigen und überzeugen, sich der Kammermusik zu öffnen», ist er überzeugt. Wie seine persönliche Überzeugungsarbeit klingt, konnten Besucher des Adelbodner Aabesitzes erleben: Während der Verein Guetzli in Notenschlüsselform verteilte, gab der Präsident ein paar Kostproben seines Alphornspiels und kam dadurch ins Gespräch mit den Leuten. Ob Wüthrichs «Empowerment»-Strategie funktioniert, steht zwar noch in den Sternen. Aber immerhin: Der Vorverkauf scheint etwas besser anzulaufen als im letzten Jahr.
Detaillierte Informationen zum Festivalprogramm finden Sie in unserer Web-Link-Übersicht unter www.frutiglaender.ch/web-links.html