«Einer der magischsten Momente meines Lebens»
08.10.2019 Kandersteg, Wirtschaft, TourismusHinter dem Kandersteg International Scout Centre (KISC) stehen weltweit einflussreiche Menschen. Der «Frutigländer» traf den 2018 neu gewählten «Kopf» des Vereins, den Engländer Aidan Jones, zum persönlichen Gespräch.
MARTIN NATTERER
Wer ist der Mann, der ...
Hinter dem Kandersteg International Scout Centre (KISC) stehen weltweit einflussreiche Menschen. Der «Frutigländer» traf den 2018 neu gewählten «Kopf» des Vereins, den Engländer Aidan Jones, zum persönlichen Gespräch.
MARTIN NATTERER
Wer ist der Mann, der entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der Organisation KISC und auch auf den Auswahlprozess des vor Kurzem ernannten, neuen Direktors des Pfadfinderzentrums hatte und der dessen Politik wesentlich mitbestimmt?
Der bescheiden wirkende, aber hoch intelligent argumentierende Engländer Aidan Jones ist über Jahrzehnte in der Pfadfinderbewegung mitgewachsen. Er hat 1989 als junger «Scout» Kandersteg erstmals als Freiwilliger in der Wintersaison besucht und dann etwas später das KISC einige Jahre (1992–1996) selbst als Direktor geleitet.
Aidan Jones ist als Nachfolger des Niederländers Thijs Stoffer im Mai 2018 zum Vorsitzenden des Vereins Internationales Pfadfinderzentrum (das ist die deutsche Bezeichnung für das KISC) gewählt worden und bestimmt seither die langfristige Politik der Organisation. Eine Wahl, von der er selbst sagt, sie sei «ohne Zweifel einer der magischsten Momente» seines Lebens gewesen. Er stellt sich in der Tat ganz in den Dienst der Sache, und wenn man mit ihm spricht, hat man das starke Gefühl, dass er seine eigene Person als völlig nebensächlich betrachtet.
Geschichte der «Pfadis» als Schlüssel für das Verständnis
Man müsse aus der Geschichte verstehen, sagt er, dass das KISC für die weltweite Pfadfinderbewegung ein einmaliger, fast mythischer Ort sei. Aus der Sicht der «Scouts» (in der Schweiz oft als «Pfadis» betitelt) ist das am Talende, nahe des Zusammenflusses von Kander und Ueschinenbach gelegene Center geradezu die Inkarnation eines immer wiederkehrenden, frischen Gründungsimpulses.
Dazu muss man Folgendes wissen: Es war Lord Baden-Powell selbst, von allen immer nur «BP» genannt, der nur 15 Jahre nach Gründung der «Scouts» 1923 das KISC mit dem Ziel gründete, für die Scouts «den einen Ort» in der Welt zur Verfügung zu haben, an dem sie ihre Einstiegserfahrung in das Pfadfinderleben zu jedem beliebigen Zeitpunkt wiederholen könnten: das berauschend Gemeinsame, die hohe moralische Verpflichtung, den Schwur auf ein verlässliches und gutes Leben im Dienste anderer, das weltbekannte «Allzeit bereit». Mittlerweile gibt es zwar einige wenige weitere solche Zentren in der Welt, aber Kandersteg hat etwas Ursprüngliches und Einmaliges behalten, auch weil es von «BP» noch selbst ins Leben gerufen worden ist.
Und mit den damals, im Jahre 1923, noch leer stehenden und nicht mehr benötigten Arbeiterunterkünften aus den Zeiten des Durchstichs der Lötschbergbahn fand Baden-Powell eine ideale Situation vor. Bis heute ist das «Old Chalet», das Ausgangspunkt des in den anschliessenden Jahrzehnten erfolgten Ausbaues war, immer noch Eingangsort und Verwaltungszentrum des KISC geblieben. Und Englisch ist nach wie vor die Arbeitssprache der Organisation, nach innen wie auch nach aussen – auch wenn sich alle, die dort arbeiten, um wenigstens «arbeitsfähige» Kenntnisse des Deutschen bemühen.
Gründungssymbol, «Schwurplatz» und Kaderschmiede
In den Augen der weltweit agierenden «Scouts» ist das KISC sowohl das Gründungssymbol als auch die Verkörperung ihres moralischen Anspruchs. Mehr noch, es hat sich im Laufe der Jahrzehnte zu einem der grossen Ausbildungszentren für Pfadfinderführungskräfte in der ganzen Welt herausgebildet. Das KISC trägt, wenn man so will, Züge einer «Kaderschmiede» für die Pfadfinder in der ganzen Welt.
Für viele Tausende, die hier jeden Sommer (und auch in der Nebensaison) aus der ganzen Welt nach Kandersteg kommen, ist das KISC aber auch der Ort, an dem sie ihren «Pfadfinderschwur» erstmals leisten oder ihn erneuern. Es ist der Ort, an dem sie ihrem Leben richtiggehend einen Stempel aufdrücken wollen. Und dies in den verpflichtenden Riten und Mythen einer weltweiten Gemeinschaft. Es ist ausgerechnet der 1. August, an dem auch die «Pfadis» in Kandersteg ihren Gründungsmythos mit einem Umzug, einer «Parade», feiern, die so gross ist, dass sie eigentlich auch als nationales Ereignis taugen würde. Es ist daher nur konsequent, wenn sowohl Aidan Jones selbst als auch der vor Kurzem ernannte neue Direktor eine «Kandersteger Prägung» haben: Aidan Jones war vor über 25 Jahren selbst Direktor des KISC, und Kandersteg ist so etwas wie seine «zweite Heimat».
Jack Higgins heisst nun der «neue Mann», der das KISC ab Mitte November 2019 als Direktor für eine ganze Reihe von Jahren leiten wird. Mit seinem Vorgänger («Felipe») wird er noch rund zwei Wochen zum Zwecke der Übergabe zusammenarbeiten. Und auch Jack Higgins war bereits von 2011 bis 2013 rund drei Jahre in verschiedenen Funktionen im dauerhaft angestellten Team des KISC («long term staff») angestellt: Er kennt den Ort, die Verhältnisse, die Menschen.
Bedeutungsvoll für Kandersteg
Für Kandersteg selbst ist das KISC vor allem als Wirtschaftsfaktor enorm bedeutungsvoll, wie Gemeindepräsidentin Barbara Jost erläutert: Es generiert eine immense Menge an Übernachtungen (es waren 2018 über 79 000) in einem Segment, das von den klassischen Hotels fast gar nicht bedient werden kann. Und das Center selbst vergibt so konsequent Aufträge an lokale Handwerker und Dienstleister, dass es zu einem grossen Auftraggeber des Frutiglands avanciert ist. Vor allem im Bereich der Abfallentsorgung und des Umweltschutzes sei es vorbildlich, betont die Gemeindepräsidentin, was auch der Präsident der KISC-Stiftung Aidan Jones im Gespräch mit dem «Frutigländer» vehement hervorhebt.
Ohne Frage braucht das riesengrosse Gelände des KISC – vor dem sensiblen Ökosystem der jungen Kander am Ausgang der «Chlus» gelegen – eine Art «Generalstabsplan» für einige in den kommenden Jahren notwendige bauliche Anpassungen. Aidan Jones sieht darin aber «keine grundsätzlichen Probleme» auf das KISC und Kandersteg zukommen. Es sei «just a matter of time», nur eine Frage der Zeit, und er wolle unbedingt auch die Ideen des neuen Direktors in die Planungen für die kommenden Jahre mit einfliessen lassen, bevor man sich wirklich festlegen wolle. Immer wieder, so Jones, erhält die Organisation auch grössere private Spenden, so zuletzt beim Ausbau des an der Strasse zum Sunnbüel gelegenen Hauses «Sunneblick», das sei ermutigend.
Jack Higgins scheint für diese grosse Aufgabe wirklich ein hervorragender Kandidat zu sein, denn er kennt fast alle Beteiligten. Er sei «thrilled», also begeistert, äusserst sich «der Neue» denn auch kurz via E-Mail.
Zukünftige Herausforderungen: 100 Jahre KISC
Dies betrifft insbesondere auch die Vorbereitungen für das 100-Jahr-Jubiläum des KISC im 2023, ein Ereignis, mit dem die Kandersteger «Welt-Einrichtung» in der Tat weltweites Aufsehen erregen wird. All das wird in den Händen des neuen Direktors und seines hochmotivierten Teams liegen. Und weit über Kandersteg hinaus darf man gespannt sein, was das alles mit sich bringen wird.