«Lädeler» organisieren sich
24.03.2020 Coronavirus, Wirtschaft, AdelbodenGeschlossene Läden, leere Strassen: Das Coronavirus hat den vom Tourismus getriebenen Lebensrhythmus abrupt in die «Zwüschezyt» katapultiert. Der Ausnahmezustand mobilisiert jedoch ungeahnte Kräfte.
RETO KOLLER
«Bäckerei Michel, Marianne Michel», meldet sich ...
Geschlossene Läden, leere Strassen: Das Coronavirus hat den vom Tourismus getriebenen Lebensrhythmus abrupt in die «Zwüschezyt» katapultiert. Der Ausnahmezustand mobilisiert jedoch ungeahnte Kräfte.
RETO KOLLER
«Bäckerei Michel, Marianne Michel», meldet sich eine freundliche Stimme am Telefon. Sie gehört der Frau von Markus Michel, der zusammen mit seinem Bruder Hansruedi das traditionelle Lebensmittelgeschäft an der Adelbodner Dorfstrasse führt. Geduldig hört Marianne Michel dem Anrufer zu und notiert sich: Ein Kilo Brot, zwei Liter Milch, eine Dose Pelati, zwei Päckli Spaghetti.
Der schon etwas ältere Kunde am anderen Ende respektiert die eindringlichen Appelle des Bundesrates und verzichtet auf den gewohnten Dorfgang. Er bestellt von zu Hause aus und wird jeweils Ende Monat eine Sammelrechnung erhalten. Michels führen die Bestellung nicht selbst aus. Dafür sorgen Remo Hersche, Daniela Klopfenstein und Manuel Klopfstein. Die drei jungen Leute zwischen 19 und 22 Jahren kennen sich von Kindesbeinen an. Alle sind in Adelboden aufgewachsen. Hersche betreut eine ähnliche Organisation bereits in Jegenstorf und kam auf die Idee, diese auch in Adelboden in die Tat umzusetzen. «Daniela und Manuel haben keinen Augenblick gezögert und mir ihre Unterstützung angeboten», lässt er wissen.
«Wier wi änand hälfä»
So nennt sich die Organisation, welche Hersche in Windeseile aus der Taufe gehoben hat. «Wir bringen Lebensmittel, Medikamente und weiteres Notwendige vor die Haustür aller Menschen, die sich entschlossen haben, nicht mehr selbst einkaufen zu gehen», umschreibt der 21-Jährige die Ziele der Non-Profit-Organisation, bei der die Bestellungen aller Partnergeschäfte zusammenlaufen. Sie bietet ihre Dienste kostenlos an. «Wir wollen einfach helfen, weil wir jung sind und Zeit haben», meint der gelernte Logistiker. Er ist zurzeit wegen einer Handoperation rekonvaleszent. Hersche kümmert sich um das Bestellwesen und plant die Routen.
Zusammenarbeit mit IG Dorf und den Geschäften
Der IG-Dorf-Präsident Fritz Gempeler war sofort begeistert von der Idee und bot seine Hilfe an. Über den E-Mail-Kanal der Dorforganisation und des Handwerker- und Gewerbevereins wurden die Angebote von «Wier wi änand hälfä» allen Mitgliedern bekannt gemacht. Inzwischen haben sich rund ein Dutzend «Lädeler» der Aktion angeschlossen, darunter auch einige aus dem Non-Food-Bereich. Bereits am Sonntag, 15. März, hatten sich Susan und Marc Haueter von der Bäckerei Haueter mit einer ähnlichen Idee an die Geschäfte gewandt. Das Echo sei überwältigend positiv gewesen. «Ich bin sehr froh, dass sich nun so schnell eine eigenständige Hilfsorganisation gebildet hat, welche uns entlastet», kommentiert die junge Geschäftsfrau. Sie appelliert an die Solidarität der ganzen Bevölkerung: «Die Lage ist für die Dorfgeschäfte dramatisch und so noch nie da gewesen. Die Umsätze sind entweder massiv kleiner geworden oder gar auf null gesunken. Wir freuen uns sehr über jeden Einkauf. Er hilft uns auch moralisch, über die schwierige und unverschuldete Situation hinwegzukommen», sagt sie stellvertretend für alle Ladenbesitzer in Adelboden.
Zehn Taschen zum Start
Am Samstagmorgen beluden die drei Organisatoren erstmals das Lieferfahrzeug der Metzgerei Gempeler. Zehn Taschen waren fein säuberlich aufgereiht und angeschrieben. Hersche und der Fahrer Noe Gempeler können ihre Freude nicht verhehlen: «Es ist wunderschön zu erleben, wie dankbar die Belieferten sind. Das entschädigt uns für jede Minute unseres Engagements.»
Auch die Gemeinde Adelboden ist aktiv geworden und hat letzte Woche allen über 64-jährigen Bürgern einen Brief geschickt. Darin finden sich die aktuellen Anlaufstellen für Corona-Informationen, Geschäfte mit Hauslieferdienst und die Telefonnummern der zuständigen Behördenmitglieder, die bei individuellen Sorgen weiterhelfen können.