«Wir brauchen die Schweizer Gäste mehr denn je»
03.04.2020 Coronavirus, Wirtschaft, Tourismus, RegionINTERVIEW In der Coronakrise spürt der Kandersteger Hotelier und Präsident von GastroSuisse, Casimir Platzer, grosse Solidarität mit der Branche. Der Bundesrat habe die richtigen Sofortmassnahmen getroffen. Sollte die Situation jedoch über den 19. April hinaus anhalten, werde das Geld ...
INTERVIEW In der Coronakrise spürt der Kandersteger Hotelier und Präsident von GastroSuisse, Casimir Platzer, grosse Solidarität mit der Branche. Der Bundesrat habe die richtigen Sofortmassnahmen getroffen. Sollte die Situation jedoch über den 19. April hinaus anhalten, werde das Geld nicht reichen.
«Frutigländer»: Herr Platzer, wie erleben Sie die restriktiven Corona-Massnahmen als Hotelier in Kandersteg und als Präsident von GastroSuisse?
Casimir Platzer: Die Massnahmen treffen das Gastgewerbe sehr hart, die Branche steht in der ganzen Schweiz praktisch still. Die Hotels dürfen zwar noch geöffnet sein, trotzdem haben die allermeisten wegen des Coronavirus geschlossen, da gar keine Nachfrage mehr besteht. Bis zum 19. April werden die Umsatzeinbussen im Gastgewerbe auf über drei Milliarden Franken ansteigen. Als Hotelier erlebe ich selbst, was das heisst. Ich befürchte, dass wir die Auswirkungen noch sehr lange spüren werden.
Einige Versicherungen unterscheiden zwischen Pandemie und Epidemie. So bleiben selbst Hoteliers, die gegen Epidemien versichert sind, auf ihren Schäden sitzen, weil Corona eine Pandemie ist. Ist diese Unterscheidung nicht spitzfindig?
Die Unterscheidung zwischen Pandemie und Epidemie scheint mir mehr als nur spitzfindig. Der Bundesrat handelt schliesslich auch nach dem Epidemiengesetz. Jene Versicherungen, die an dieser Unterscheidung festhalten, setzen das Vertrauen ihrer Kunden aufs Spiel.
Vertragsrechtlich gilt das Kleingedruckte. Ist der Staat gefordert, eine Lösung zu finden, damit die Schäden aller Gastrobetriebe gedeckt sind?
Nur wenige Betriebe haben sich gegen eine Epidemie versichert. Ich befürchte, der Staat kann den gesamten Schaden nicht decken. Er sollte aber darum bemüht sein, so viele Arbeitsplätze und Lehrstellen wie möglich zu sichern. Das Gastgewerbe mit 264 000 Arbeitsplätzen und 8000 Lehrstellen ist ein sehr bedeutender Wirtschaftsfaktor.
Wie könnte eine solche Lösung aussehen?
Der Bundesrat hat rasch die richtigen Sofortmassnahmen getroffen. Hält die jetzige Situation jedoch über den 19. April hinaus an, wird das Geld nicht ausreichen. Insbesondere Selbstständigerwerbende müssten stärker unterstützt werden.
Haben Sie einen Überblick, wie viele Betriebe in der Region Kurzarbeit angemeldet haben? Um wie viele Arbeitsstellen geht es da im Berner Oberland?
Ich gehe davon aus, dass praktisch alle Betriebe in der Region Kurzarbeit beantragt haben oder dies tun werden. Der Tourismus trägt im Kanton Bern über 38 000 Vollzeitstellen zur Beschäftigung bei. Weit über die Hälfte dieser Arbeitsstellen befinden sich im Berner Oberland. Da Gastgewerbe / Tourismus eine Querschnittsbranche ist, sind viele andere Gewerbebranchen ähnlich betroffen.
Dieselbe Frage zur Liquiditätssicherung: Wie viele Betriebe aus der Gastrobranche machen Gebrauch vom Angebot des Bundes für einen zinslosen Kredit?
Das lässt sich noch nicht sagen. Es können erst seit 26. März entsprechende Kreditvereinbarungen und -anträge eingereicht werden. Ich gehe davon aus, dass viele gastronomische Unternehmen das Kreditangebot nutzen werden. Gesamtschweizerisch wurden in den ersten beiden Tagen über 4 Milliarden Franken an Krediten gewährt. Die Überbrückungskredite betragen höchstens 10 Prozent des Umsatzerlöses eines Jahres. Zinslos sind nur Kredite bis 500 000 Franken.
Viele Hoteliers und Wirte haben von sich aus innovative Lösungen gefunden, um die Umsatzeinbussen zu reduzieren. Zubereitete Mahlzeiten als Hauslieferungen sind ein Beispiel, Hotelzimmer als Räume fürs Homeoffice ein anderes. Begrüssen Sie solche Ansätze?
Die Branche stellt ihre Flexibilität und den Erfindergeist einmal mehr eindrücklich unter Beweis. Aber man muss sich bewusst sein: Solche Lösungen können nur einen Teil der Umsatzeinbussen kompensieren.
Wie gedenken Hotels und Restaurants ins Alltagsgeschäft zurückzukehren, sobald die Massnahmen gelockert werden? Macht ihnen der Verband dabei Vorschläge?
GastroSuisse berät ihre Mitglieder in allen Phasen. Sinnvolle Empfehlungen können wir jedoch nur dann abgeben, wenn wir die Rahmenbedingungen kennen. Zurzeit ist offen, wann und wie wir zum Alltag zurückkehren werden. Auch nach der Wiederaufnahme der Geschäftstätigkeit wird es Zeit brauchen, bis sich die Nachfrage erholt. Das sollten die Unternehmen in ihrer Kalkulation berücksichtigen.
Dem vom Bundesrat verordneten «physischen Abstandhalten» steht die «soziale Solidarität» gegenüber. Haben Sie diesen Ruck durch die Gesellschaft, dieses gegenseitige Helfen, erwartet? Wie erleben Sie Solidarität in diesen Tagen?
Ich erlebe die Solidarität zum einen in meinem privaten Umfeld. Leute denken öfters aneinander und überlegen sich eher, wo sie einander helfen können. Zum anderen spüre ich als Hotelier eine grosse Solidarität mit dem Gastgewerbe. Viele Leute möchten der Schweizer Gastronomie und Hotellerie helfen. Das zu spüren, tut der Branche gut. Wir brauchen die Schweizer Gäste mehr denn je.
Wie kann diese Solidarität nachhaltig weitergepflegt werden? Wird die Erfahrung der Corona-Krise unsere zwischenmenschlichen Beziehungen auf Dauer verändern?
Ich denke, dass die Solidarität auch vorher schon bestand. In der Krise wird sie besonders sichtbar.
Die ökonomischen Auswirkungen der Massnahmen sind noch nicht abschätzbar. Bund, Kantone und Gemeinden helfen unbürokratisch mit riesigen Geldsummen. Wie weit soll / darf der Superstaat in unserer freien Wirtschaftsordnung gehen?
Ich begrüsse das rasche Handeln der Regierung. GastroSuisse hat umgehend Notrecht gefordert, damit Sofortmassnahmen möglich sind. Zurzeit existiert keine freie Wirtschaftsordnung. Will der Staat die bisherigen Wirtschaftsstrukturen erhalten, muss er entschlossen eingreifen. Andernfalls wird die Schweiz nachhaltigen und irreversiblen Schaden erleiden. Die beschlossenen Sofortmassnahmen dürften zumindest vorübergehend das Schlimmste abwenden.
Verändert hat sich die Arbeitswelt, auch in der Gastrobranche. Ist Homeoffice das Mass aller Dinge?
Auch GastroSuisse hat an der Geschäftsstelle Homeoffice eingeführt. Im Gastgewerbe wird dies jedoch nie eine grosse Bedeutung erlangen. Im Zentrum unserer Arbeit steht der Kontakt zu unseren Gästen.
Jede Medaille hat zwei Seiten. Die Natur, die für den Tourismus existenziell ist, scheint aufzuatmen. Wasser- und Luftqualität werden besser, weil die Verschmutzung abnimmt. Was lernen wir aus der Krise?
Wir sollten mitunter zur Einsicht gelangen, dass es keine sinnvolle Option ist, die Wirtschaft längerfristig anzuhalten. Wir müssen wirtschaftsverträgliche Lösungen finden, um die umweltpolitischen Ziele zu erreichen. Und das tun wir auch. Die Krise kann uns dabei helfen, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge besser zu verstehen und das Wirtschaftsleben wieder mehr zu schätzen.
INTERVIEW PETER SCHIBLI
Das Interview wurde schriftlich geführt.
ZUR PERSON
Casimir Platzer ist seit 2014 Präsident von GastroSuisse. Zuvor war er seit 1989 in verschiedenen Gremien des Verbandes tätig. Zwischen 2000 und 2008 war er Präsident von GastroBern und gleichzeitig Präsident des Hotelier-Vereins Berner Oberland. Platzer bringt auch internationale Erfahrung mit. 2013 wurde er zum Präsidenten der «International Hotel and Restaurant Association» gewählt. Seit 2004 gehört er dem Vorstand von Schweiz-Tourismus an. Er besitzt und führt gemeinsam mit seiner Frau Muriel das «Belle Epoque Hotel Victoria» in Kandersteg.
PS