Die Gastrobranche pocht auf Schadenersatz
28.04.2020 Coronavirus, Wirtschaft, GesellschaftDie Corona-Krise wird wohl auch die Justiz beschäftigen. Weil verschiedene Versicherungen sich weigern, Ausfallschäden zu übernehmen, macht der Verband GastroSuisse nun Druck und droht mit Boykott und Musterklagen.
MARK POLLMEIER
Epi- oder Pan-, diese Vorsilbe kann ...
Die Corona-Krise wird wohl auch die Justiz beschäftigen. Weil verschiedene Versicherungen sich weigern, Ausfallschäden zu übernehmen, macht der Verband GastroSuisse nun Druck und droht mit Boykott und Musterklagen.
MARK POLLMEIER
Epi- oder Pan-, diese Vorsilbe kann über viel Geld entscheiden, wie zahlreiche Gastrounternehmer in den letzten Wochen lernen mussten. Hunderte von ihnen hatten sich gegen Schäden einer Epidemie versichert und glaubten nun, deswegen stehe ihnen Geld zu. Weil aber die WHO am 11. März die Verbreitung des Coronavirus als Pandemie eingestuft hatte, wollen nun viele Versicherungen, darunter Branchengrössen wie AXA, Generali oder Helvetia, nicht zahlen.
Was nach Haarspalterei klingt, ist in Wahrheit eine Frage der Mathematik. Eine Epidemie, etwa einen Salmonellenfall in einem Hotel, können die Versicherungen kalkulieren. Für die Dauer solcher Ereignisse und die erwartbaren Schäden gibt es Erfahrungswerte. Für Pandemien gilt das nicht. Weil Versicherungsunternehmen deren Risiken nur schwer einschätzen können, schliessen die meisten den Pandemiefall aus – oft im sogenannten Kleingedruckten.
Spitzfindigkeiten mit hohem Risiko
GastroSuisse hatte dieses Vorgehen seit Beginn der Coronakrise kritisiert. Die Versicherer wollten sich aus der Verantwortung stehlen, hiess es in diversen Stellungnahmen. Die Unterscheidung von Pandemie und Epidemie sei eine Spitzfindigkeit. Schliesslich seien die Corona-Massnahmen wie Restaurantschliessungen ja auch aufgrund des Epidemiengesetzes getroffen worden.
Dass um diese «Spitzfindigkeiten» erbittert gestritten wird, ist nicht verwunderlich. Bei Epidemieversicherungen geht es häufig um Beträge im sechsoder siebenstelligen Bereich. Die Prämien halten sich demgegenüber im Rahmen. So weist die AXA-Versicherung darauf hin, dass ein Gastrobetrieb mit einer Million Franken Umsatz durchschnittlich rund 250 Franken pro Jahr für eine solche Epidemieversicherung aufwenden müsse, also lediglich 0,25 Promille der Einnahmen. Dass die Versicherungen bei diesem Risiko genau hinschauen, ist nachvollziehbar.
Kostspielige Kulanz
Eine Ausnahme ist in dieser Hinsicht die Mobiliar. Der Berner Versicherungsriese hat sich entschieden, keinen Unterschied zwischen Epidemie und Pandemie zu machen. Das hat seinen Preis: Mit «Corona-Kosten» von 350 bis 400 Millionen Franken rechnet Mobiliar-Chef Markus Hongler über alle Versicherungssparten hinweg. Das meiste davon werde im Bereich Gastronomie und Lebensmittell anfallen. Zum Vergleich: im Geschäftsjahr 2019, das sehr erfolgreich verlief, erzielte die Mobiliar einen Gewinn von knapp 490 Millionen Franken. Die übrigen Versicherungen will Gastro-Suisse nun mit juristischem und öffentlichem Druck dazu bringen, coronabedingte Betriebsausfälle zu übernehmen. Die Basler Sektion des Verbands hat die Versicherungsverträge von zwanzig Mitgliedsbetrieben durch spezialisierte Anwälte überprüfen lassen. Als Ergebnis stehe fest, dass die Versicherungen «sich ihrer Pflicht nicht entziehen können und Leistungen wegen des Coronavirus ausschütten müssen», teilte GastroSuisse am letzten Freitag mit. Man werde die betroffenen Gesellschaften jetzt zu Verhandlungen auffordern, um eine Lösung für die Branche zu finden. Seinen Mitgliedern legte GastroSuisse nahe, bei den unwilligen Versicherungen keine Verträge mehr abzuschliessen und die Portfolios dort abzuziehen. Auch Musterklagen wurden offenbar bereits in Auftrag gegeben.
Entscheidung erst in Lausanne?
Juristisch ist die Frage, ob Versicherungsgesellschaften zahlen müssen, nicht pauschal zu beantworten. Wenn in den Versicherungsbedingungen explizit zwischen Epidemie und Pandemie unterschieden wird, dürfte es schwierig sein, eine generelle Zahlungspflicht durchzusetzen. Gut möglich, dass viele solcher Fälle erst vor dem Bundesgericht entschieden werden – es sei denn, die Versicherungen fürchten den Imageschaden und erklären sich kulanzhalber bereit, die Schäden zu begleichen.
Die Schweiz ist nicht das einzige Land, in dem um die Zahlungsverpflichtung von Versicherungen gerungen wird. In Deutschland tobt derzeit ein ähnlich gelagerter Streit um sogenannte Betriebsschliessungsversicherungen, mit denen sich Betriebe gegen die Kosten einer behördlichen Schliessung absichern können. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband schätzt, dass 25 000 bis 40 000 Betriebe des Gastgewerbes solche Versicherungen abgeschlossen haben – und auch hier wollen viele Versicherer nicht oder nur in beschränkter Höhe zahlen. Eine Klagewelle scheint auch im Nachbarland unausweichlich.