Die gebremste Energiewende
30.06.2020 Frutigen, Wirtschaft, PolitikBis 2050 will die Schweiz ihren Strom möglichst klimaneutral produzieren. Ein zentraler Pfeiler ist dabei die Wasserkraft – doch der wird es nicht besonders leicht gemacht. Ein Beispiel aus der Region.
BIANCA HÜSING
Als Samuel Moser im Sommer 2016 ein Baugesuch ...
Bis 2050 will die Schweiz ihren Strom möglichst klimaneutral produzieren. Ein zentraler Pfeiler ist dabei die Wasserkraft – doch der wird es nicht besonders leicht gemacht. Ein Beispiel aus der Region.
BIANCA HÜSING
Als Samuel Moser im Sommer 2016 ein Baugesuch für die Erneuerung seines Kleinwasserkraftwerks stellte, ahnte er nicht, dass bis zur Inbetriebnahme noch vier Jahre ins Land gehen würden. Dabei war eigentlich alles geregelt: Die Bewilligung lag alsbald vor, die beteiligten Lieferanten waren parat. Um allerdings nicht allein auf den Investitionskosten von rund einer Million Franken sitzen zu bleiben, wartete der Frutiger die Abstimmung zum revidierten Energiegesetz 2017 ab – und dessen konkrete Umsetzung. Doch hierin lag die eigentliche Knacknuss: «Seit dem Urnengang wurden die einzelnen Verordnungen laufend geändert», erinnert sich der Inhaber der Schiefertafelfabrik. Für ihn war deshalb lange nicht klar, ob sein Kraftwerk den Anforderungen für einen Investitionsbeitrag genügt – oder eben nicht.
Ein Kampf mit den Behörden – und gegen sie
Schnell war nämlich der Ansturm auf die Fördergelder des Bundes grösser als der dafür bereitgestellte Haushaltsposten. Entsprechend wollte das Bundesamt für Energie zunächst neue und leistungsstarke Anlagen von mindestens 300 Kilowatt bezuschussen – sehr zum Missfallen der Kleinwasserkraftwerk-Betreiber. Diese hatten bereits 2016 das Nachsehen, als National- und Ständerat eine Untergrenze für die Kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) definierten. Seither erhalten nur noch Anlagen mit einer Leistung von mindestens 1000 kW den KEV-Zuschlag auf ihren verkauften Strom. Wer wie Moser ein schwächeres Kraftwerk (60 kW) betreibt, bekommt lediglich den marktüblichen Strompreis ausgezahlt. Und der richtet sich nach der europäischen Strombörse.
Um wenigstens beim Bau seines Kraftwerks unterstützt zu werden, kämpfte der Frutiger um eine Ausnahmeklausel für Investitionsbeiträge – teils mit den Behörden, teils gegen sie. «Ich war persönlich beim Bundesamt für Energie, um dort eine gangbare Lösung für Kraftwerke auszuhandeln, die noch unter der Mehrkostenfinanzierung laufen – dem Vorläufer der KEV.» Zusammen mit dem Lobbyverband Swiss Small Hydro erzeugte er offenbar genug Druck. Als schweizweit erster Kleinstkraftwerkbetreiber erhielt Samuel Moser einen Investitionsbeitrag von immerhin rund 500 000 Franken. Grund für die Ausnahme: Die Erneuerung der 1901 erbauten Anlage stellt keinen zusätzlichen Eingriff ins Gewässer dar und zieht keine ökologischen Folgeschäden nach sich. Nach dem positiven Bescheid legte Moser sofort los und nahm das Kraftwerk zehn Monate später, im April 2020, in Betrieb.
Fernsteuerung per Handy-App
Zwischen Mosers Turbinenraum oder «Krafthaus» – dem Herzstück der Anlage – und der Kander verläuft ein künstlich angelegter Kanal, der das Wasser in die Turbine leitet. Ein Rechen befreit es zuvor von Ästen und Laub. Verirrt sich mal ein Fisch in den Kanal, wird er durch einen Abstieg direkt wieder in die Kander gelassen. Nach der Stromproduktion gelangt das Nutzwasser ebenfalls zurück in den Fluss. Seit dem Neubau laufen all diese Prozesse automatisiert. Lag früher irgendeine Störung vor, stoppte die Anlage und Moser musste ausrücken. Heute kann er das gesamte Kraftwerk mit seinem Handy überwachen und steuern. «Ich habe praktisch keine Standzeiten mehr und produziere mit gleicher Wassermenge zweimal so viel Strom wie zuvor.»
Insgesamt wird er nun auf mehr als 500 000 Kilowattstunden pro Jahr kommen, wovon er nur 10 Prozent benötigt, um seine Schiefertafelfabrik zu betreiben. Den Rest (genug für etwa 130 Haushalte) verkauft er an die BKW. Noch. Da das Unternehmen sich weigert, eine Art Öko-Zuschlag für Strom aus Wasserkraft zu zahlen – für den sogenannten Herkunftsnachweis – plant der geschäftige Frutiger den Aufbau eines eigenen Stromverbunds.
Ein hausgemachter Bremsklotz?
Gern hätte Samuel Moser seine Anlage auf die doppelte Ausbauwassermenge erweitert und ein Mehrfaches an Energie produziert. Das wirtschaftlich interessanteste Modell liess er sich eigens von der Fachhochschule Nordwestschweiz durchrechnen und entwickeln. Doch dafür hätte er eine neue Konzession beantragen und weitere Jahre warten müssen. Schon jetzt blickt er auf eine Plan- und Bauzeit von insgesamt sieben Jahren zurück. Wer ein gänzlich neues Kraftwerk plane, rechne mittlerweile sogar mit 10 bis 15 Jahren. «Viele Unternehmer tun sich das gar nicht erst an: die rechtliche Unsicherheit, die Planungskosten, das Weibeln mit den Behörden ...»
Unter diesen Voraussetzungen, glaubt Moser, lassen sich die Ziele der 2017 vom Volk angenommenen Energiestrategie niemals bis 2050 erreichen.
Strittige Stromquelle
Obwohl die Wasserkraft mit einem Anteil von fast 60 Prozent als wichtigste Energiequelle der Schweiz gilt, ist sie keineswegs unumstritten. Vor allem kleine Kraftwerke sind Umwelt- und Tierschutzverbänden ein Dorn im Auge. Aus ihrer Sicht greifen sie ins Ökosystem der Flüsse ein und gefährden die letzten unverbauten Fliessgewässer der Schweiz, ohne einen wesentlichen Beitrag zur Stromversorgung zu leisten. Mit ähnlicher Begründung beschloss das Nationalparlament 2016 eine Untergrenze für die KEV-Förderung (siehe Haupttext).
Die Wasserkraft-Lobby hält dagegen, dass ihre Form der Energieerzeugung klimaschonend und im Gegensatz zu Fotovoltaik sehr beständig sei. Die dezentral erzeugte Energie schaffe Arbeitsplätze in Randregionen und die regelmässige Produktion entlaste die Übertragungsnetze. Beim grössten Teil der vorhandenen Wasserverbauungen handle es sich zudem nicht um Kraftwerke, sondern um andere Bauten – etwa für den Hochwasserschutz. Allfällige Eingriffe für die Stromproduktion würden mit Renaturierungsmassnahmen kompensiert.
HÜS