Virus im Spital – Situation im Griff
12.06.2020 Coronavirus, Frutigen, GesundheitMEDIZIN TEIL 2 Wie Erkrankte und Dorfärzte mit Covid-19 umgingen, zeigte der nicht mehr berufsaktive Arzt Heinz Fahrer in der letzten Ausgabe. Heute lässt er den Chefinternisten des Spitals Frutigen zu Wort kommen.
Die Covid-19 Erkrankung in ihrer häufigsten Form zeigt, ...
MEDIZIN TEIL 2 Wie Erkrankte und Dorfärzte mit Covid-19 umgingen, zeigte der nicht mehr berufsaktive Arzt Heinz Fahrer in der letzten Ausgabe. Heute lässt er den Chefinternisten des Spitals Frutigen zu Wort kommen.
Die Covid-19 Erkrankung in ihrer häufigsten Form zeigt, wenn überhaupt fassbare Symptome bestehen, Fieber, Gliederschmerzen, Schnupfen und Husten. Diese treten auch bei einer Grippe auf und können ohne Weiteres zu Hause behandelt werden. Ausgeprägter und für Betroffene beängstigender sind die in Einzelfällen auftretenden Beschwerden von mässiger bis schwerer Atemnot, die Sauerstoffzufuhr über längere Zeit erfordern können. Es handelt sich dann um einen entzündlichen Befall der Lunge, möglicherweise auch von Blutgefässen, was noch nicht ganz gesichert ist. Oft kommt es erst nach Wochen der Beatmungsbehandlung zur erhofften Besserung oder aber im schlimmsten Fall zu einem tödlichen Ausgang, der in der Altersgruppe von Männern über 80 Jahren weitaus am häufigsten ist. Bei diesen schweren Erkrankungsfällen sind dann verständlicherweise die Möglichkeiten der ambulanten Behandlung überschritten, und Spitalbetreuung wird unerlässlich.
Der Bereitschaftsgrad war hoch
«Wir haben hier einfach Glück gehabt», sagt Dr. Marco Negri, Chefarzt Innere Medizin am Spital Frutigen, spontan. Mit «hier» meint er das ganze Einzugsgebiet der Spitäler fmi AG. In Interlaken seien im Verlauf der Pandemie schon früh Corona-Tests an chinesischen Touristen durchgeführt worden, die erfreulicherweise sämtliche negativ ausfielen. Interlaken hätte wegen dieser Besucher durchaus auch zum Hotspot werden können, wie es dann in Norditalien der Fall war. Dort hätten die engen Handelsbeziehungen in der Modebranche zwischen China und Italien sicher eine Rolle gespielt – und besonders die jährlich stattfindende «Fashion-Week» in Mailand von Ende Februar.
Nicht auf Glück, sondern auf gut durchdachter Beurteilung beruhten dann die am Spital vorbeugend getroffenen Massnahmen. Sie sollten der Bewältigung eines möglichen Patientenansturms am Beginn des staatlich verordneten Lockdowns dienen: Ausserhalb des normalen Notfallzugangs wurden Einrichtungen zur Testung und Triagierung ankommender Kranker aufgestellt, die Garage wurde mit einer improvisierten Heizung versehen und zu einem Empfangsbereich umgestaltet. Dies liess sich dank der guten Zusammenarbeit mit dem lokalen Gewerbe alles in drei Tagen realisieren.
Die Welle blieb aus
Auch in Frutigen wurden nun alle nicht notfallmässig notwendigen Operationen hinausgeschoben. Etwa eine Woche nach dem Lockdown schien am Spital die erwartete Welle einzusetzen mit gleich fünf Personen, die wegen Covid- 19 hospitalisiert werden mussten. Es kam jedoch zu keiner Fortsetzung in ähnlichem Ausmass. Insgesamt wurden in Frutigen etwa 15 Patienten hospitalisiert; davon mussten einige wegen ihrer besonderen Risikosituation oder für stärkere Betreuung auf die eigens eingerichtete Covid-Intensivstation in Interlaken verlegt werden, alle mit einem schliesslich günstigen Verlauf. Auch zwei ausgesprochene Hochrisikopatienten, erinnert sich Dr. Negri, die im Spital Frutigen blieben, konnten wieder gesund entlassen werden. Todesfälle gab es in Frutigen keine, in Interlaken deren zwei oder drei. Es handelte sich dabei jedoch um Personen, die bereits schwere Begleiterkrankungen hatten. Dr. Negri fiel im Weiteren auf, dass Notfälle anderer Art wie etwa Herzinfarkte in dieser kritischen Zeit in deutlich geringerer Zahl ins Spital kamen als üblich. Dies führte ihn zur Überlegung, ob sich die durch Covid-19 erzwungene allgemeine Entschleunigung als stressreduzierend und damit günstig auf solche Fälle von Herz-Kreislauf-Erkrankungen habe auswirken können. Auch die Anzahl ambulant betreuter Patienten mit Covid-19, die das Spital Frutigen aufsuchten, blieb erfreulicherweise eher bescheiden.
Der Vergleich mit einer der stärkeren Grippewellen, wie sie etwa zu Jahresbeginn 2015 und 2017 auftraten, ist für Dr. Negri nicht einfach zu ziehen. Die Testung auf die entsprechenden Influenzaviren, die ebenfalls zur Gruppe der Coronaviren gehören, erfolgte damals nicht systematisch. Das besonders Heikle oder Gefährliche am neu aufgetretenen Virus Sars CoV-2 liegt für den Chefarzt darin, dass es sich wegen der vielen fast symptomlosen Fälle unbemerkter und darum auch unbehinderter ausbreiten konnte. Im Gegensatz dazu verlaufen Virus-Epidemien der neueren Vergangenheit wie Sars 1 und Ebola an sich zwar häufiger tödlich. Diese Erkrankungen blieben aber trotz ihrer Gefährlichkeit eher lokal und waren deshalb besser einzugrenzen. Eine Prognose dazu, ob weitere Wellen noch zu erwarten sind, wagt Negri nicht zu machen. Klar ist für ihn aber, dass die staatlich verordneten Massnahmen letztlich zweckmässig und nötig waren.
Wie fällt der Vergleich mit Schweden aus?
Es ist kaum zu bestreiten, dass die Schweiz in den letzten 100 Jahren nie eine – allerdings kurze – Phase von so historischer Einzigartigkeit erlebte. Während des Zweiten Weltkriegs wurden zwar Hunderttausende Männer ins Militär eingezogen und Lebensmittel rationiert, eine sehr schwere Zeit, gewiss. Berufsaktivitäten und das soziale Leben der übrigen Bürger wurden aber nicht fast vollständig blockiert, wie es nun während einiger Monate der Fall war. Damals blieben die Schulen offen, ebenso die Theater, Kinos und Konzertlokale.
Die gegenwärtige, vollständige Blockade wurde kurzfristig Mitte März auferlegt, als der Ernst der Lage in Europa klar wurde. Bundesrat und Gesundheitsbehörde mussten rasch entscheiden, und sie handelten vermutlich richtig. Genaueres wird erst die längerfristige Auswertung zeigen können. Man könnte allerdings auch sagen: Die Behörden handelten genau gleich oder sehr ähnlich wie die meisten Länder in Europa, sie kopierten deren Massnahmen. Es gab nur wenige Ausnahmen von diesem Muster. Schweden war es insbesondere, das nicht auf staatliche Verordnungen, sondern nur Empfehlungen abstellte. Schweden hat nun bisher, bei ähnlicher Fallzahl wie die Schweiz und leicht grösserer Bevölkerung, eine etwa doppelte Zahl an Verstorbenen. Versagte also das schwedische System? Diese Todeszahlen könnten auch mit dem deutlich schlechteren Gesundheits- und Heimsystem zusammenhängen, hörte man auch schon. Und vielleicht wird die wirtschaftliche und psychisch-soziale Erholung dort oben einfacher als hierzulande, weil das Land weniger «downlocked» war – auch das muss die Zukunft zeigen.
Geringe Bevölkerungsdichte als Vorteil
Im Frutigland waren die medizinischen Auswirkungen der Corona-Krise, immer statistisch gesehen, insgesamt eher gering. Eine absolute oder prozentuale Fallzahl der Täler liegt nicht vor, dürfte aber deutlich tiefer als der schweizerische Durchschnitt liegen. Dies wurde sicher gefördert durch die hiesige geringe Bevölkerungsdichte. Aber auch Disziplin in der Hygiene mit regelmässigem Händewaschen und Einhalten eines gewissen Vorsichtsabstands sind die beste Prophylaxe gegen das Auftauchen einer allfälligen zweiten Welle.
HEINZ FAHRER, REICHENBACH