Souvenirs: abstauben statt verkaufen
21.07.2020 Kandersteg, Tourismus, AdelbodenIn Kandersteg und Adelboden fehlen die ausländischen Gäste – insbesondere die Pfadigruppen. Einige Detailhändler kämpfen deshalb mit grossen Einbussen. Doch je nach Branche bringen nun die vielen Schweizer Gäste gute Umsätze. Ein Augenschein in den Läden.
YVONNE ...
In Kandersteg und Adelboden fehlen die ausländischen Gäste – insbesondere die Pfadigruppen. Einige Detailhändler kämpfen deshalb mit grossen Einbussen. Doch je nach Branche bringen nun die vielen Schweizer Gäste gute Umsätze. Ein Augenschein in den Läden.
YVONNE BALDININI
Zwei Rentnerinnen mit Basler Dialekt betrachten in der Papeterie Edelweiss in Kandersteg das Scherenschnittsortiment. Mitinhaberin Ingrid Niedhart hat es von einer Ecke an die vorderste Front ihres Ladens gestellt. «Schweizer mögen diese Schnitte. Ich merke, dass viele etwas suchen, um uns zu unterstützen.» Der Schreibwarenhandlung mit Souvenirladen geht das Wegbleiben ausländischer Pfadigruppen ans Lebendige. Mit ihnen macht sie sonst jedes Jahr in den Monaten Juli und August rund 70 Prozent des Sommerumsatzes. «Normalerweise wechseln wir die Auslage der Sackmesser, Schlüsselanhänger und Magnete mit Kuh- und Bergsujets x-mal am Tag. Heute haben wir nicht einmal ein Stück davon verkauft», erzählt die Wahlkanderstegerin Niedhart. Den enormen Ausfall werden sie und ihr Mann teilweise verkraften können. Die beiden liefern während des ganzen Jahres Büromaterial an lokale Hotels, Gewerbebetriebe, an die Schule und die Gemeinde. Zudem betreiben Niedharts im Winter die Langlaufschule und gehen zusätzlich einem Nebenerwerb nach.
80 Prozent Einbusse wegen fehlender Znünis
In der «Sennerei Kandersteg» gönnen sich drei Schweizer Touristen ein Stück Alpkäse als Mitbringsel, bevor sie zum Bahnhof spurten. «Die lokalen Produkte sind enorm gefragt. Aber die Leere im Pfadiheim ist geisterhaft», bemerkt Hansueli Hari. Er ist ehemaliger Besitzer der Molkerei. Seit er den Laden vor zwei Monaten seinem Nachfolger übergeben hat, hilft er in der neuen «Sennerei Kandersteg» aus. Das Verpflegungsteam des Pfadizentrums bestellte bei Hari immer die Zmorgezutaten: Milch, Butter, Joghurt und Käse. «Selbst wenn jeder Pfadi nur einen halben Deziliter Milch pro Tag trinkt, ergibt dies eine grosse Liefermenge», erläutert er. Aufgrund seiner 50-jährigen Erfahrung im Betrieb schätzt er die Umsatzeinbussen auf 80 Prozent.
Ebenfalls vergeblich sucht man im Kandersteger «Volg» die Pfadisscharen, die sonst im Sommer spätnachmittags für ein Zvieri Schlange stehen. Man ist dort jedoch zuversichtlich, die Ausfälle kompensieren zu können – sofern das Wetter stimmt. Viele Schweizer Kurz- und Feriengäste würden im Lebensmittelgeschäft einkaufen, lässt Tamara Scheibli, Leiterin Kommunikation, wissen.
Lego und Teelichter statt Heidi-Schlüsselanhänger
Auch in Adelboden spüren die Detailhändler das Fehlen der Pfadis und der internationalen Touristen. Bei «Souvenir Scheidegger» tummeln sich reichlich Kunden im Geschäft. Doch sie interessieren sich eher für Sonnenbrillen als für Uhren und Sackmesser. Der Verkauf klassischer Andenken ist laut Inhaberin Alexandra Bircher stark eingebrochen. «In einer Gruppe von 30 englischen Pfadifinderinnen deckt sich jede mit fünf Adelboden-Magneten ein, um vier davon zu Hause zu verschenken. Eine Schweizer Familie nimmt uns im besten Fall eines ab», erklärt sie. Während AusländerInnen mehr, aber eher billige Stücke kaufen, würden «Einheimische» weniger, dafür teurere Ware wie grosse Lego-Spiele erstehen. Die vielen inländischen Tages- und Feriengäste sorgen deshalb bei Scheideggers für gute Einkünfte. «Bei mir wird sich das Ausmass des Ausländerausfalls erst nach dem Ende der Sommerferien zeigen, wenn die Schweizer abreisen. Zu diesem Zeitpunkt haben wir immer sehr gut mit den Pfadis und Reisegruppen gearbeitet. Ohne sie falle ich wohl in ein Loch», mutmasst sie. Bereits im Juni fehlten ihr Einnahmen, weil die amerikanischen Gruppen im Pfadiheim Our Chalet und die Asiaten im Hotel Cambrian wegblieben.
Im Souvenirladen am Blausee haben die Verkäuferinnen an diesem schönen Samstag alle Hände voll zu tun. Zwar warten Heidi-Schlüsselanhänger und Seifen vergeblich auf ihre üblichen Abnehmer – vorwiegend Asiaten und Araber. «Letztere lieben ‹Feinschmöckiges›», weiss die langjährige Verkäuferin Eva Zurbrügg. Dafür gingen dank zahlreicher Schweizer Besucher kunstvolle Dekorationsaccessoires wie Teelichter-, Stein- und Holzherzen über den Ladentisch, auf denen der Blausee-Shop früher sitzen geblieben sei. Einzig bei schlechtem Wetter leide das Geschäft, weil sich dann inländische Ausflügler kaum blicken liessen.
Mehr Arbeit als in normalen Sommern
Bei Hari Sport in Adelboden testet ein Ehepaar Wanderstöcke, ein Herr mit grossem Rucksack probiert ein Funktionshemd an. Für Besitzer Röbi Hari sind die Schweizer Gäste ein Segen. «Sie geben mehr Geld für Kleider, Schuhe oder Sportgeräte aus als ausländische Urlauber. Mein Umsatz ist gegenüber letztem Jahr deutlich gestiegen.» Bei den Kunden spüre er zudem ein gewisses Nachholbedürfnis sowie solidarisches Denken gegenüber dem lokalen Gewerbe.
An der Theke der Bäckerei Schmid in Adelboden händigen die Verkäuferinnen fleissig Gebäck und Süsses aus. Im Tea Room kämpft Jung und Alt um jeden Stuhl. «Bei diesem Ansturm fühlen wir uns wie in der Altjahrswoche. Wir arbeiten mehr als in einem normalen Sommer», beschreibt Besitzerin Nadja Bieri Schmid die Situation. Die vielen «einheimischen» Touristen, die sich auch Spezialitäten leisteten, ersetzten bei ihr die Pfadfinder, Engländer und Amerikaner.
Ähnlich sieht es im «Marmotte» in Kandersteg aus. Trotz Fernbleibens der internationalen Gäste und der Pfadis, die täglich 75 Brote – jetzt sind es zwei – bestellten, profitiert die Bäckerei mit Tea Room von den vielen inländischen Tagesausflüglern und Ferienaufenthaltern.
Leere Scout-Zentren
Das Kandersteg International Scout Center KISC beherbergt jeden Juli täglich rund 1500 Pfadfinder, über den 1. August sogar 2000. Infolge der Pandemie haben viele Gruppen abgesagt, da sie aus ihren Heimatstaaten nicht ausreisen können. Dank Werbung gelang es dem Team, inländische Pfadi-Organisationen anzulocken. So nächtigte dort letzte Woche eine 200-köpfige Gruppe aus Münsingen. Zurzeit beziehen auch Schweizer Familien auf dem Zeltplatz des Pfadiheims Quartier. «Normalerweise ist das unmöglich, weil wir über Monate ausgebucht sind», schildert Geschäftsführer Jack Higgins.
Die Pfadigruppen etwa aus Spanien oder England buchen stets Verpflegung und Aktivitäten mit. «In einem gewöhnlichen Sommer verköstigen wir rund 300 hungrige Münder in unserem Catering-Restaurant. Momentan sind es zehn», so Higgins. «Wir verlieren enorm viel Geld.» Durch Kurzarbeit, Spendengelder und Sparprogramme hält sich die gemeinnützige Organisation über Wasser. Das Team bereitet sich auf die nächsten Sommer und auf das 100-Jahr-Jubiläum 2023 vor. «Wir wollen weiterhin in der Lage sein, junge Menschen aus der ganzen Welt zusammenzubringen, ihnen zu helfen, sich zu entfalten und Neues zu lernen. Dies erreichen wir, indem wir anwesend sind.»
«Our Chalet» als Hostel
Das Begegnungszentrum des Weltverbands der Pfadfinderinnen in Adelboden bietet im Sommer pro Woche jeweils rund 100 internationalen Mitgliedern Platz. Es ist stets ausgebucht. Letzte Woche übernachteten nur drei Schweizer Pfadfis und 15 weitere Gäste im «Our Chalet». Leiterin Tanya Tulloch und ihr Team versuchen zurzeit, das Haus mit angegliedertem Campingplatz als Hostel zu betreiben. Dank Plattformen wie der Tourismuswebseite oder Airbnb gelang es, für die kommenden Monate Familien sowie eine Curlinggruppe für einen Adelbodenaufenthalt zu gewinnen. «Wir können ein paar Monate überleben, da wir letztes Jahr gut gewirtschaftet haben», sagt die Amerikanerin. Die Unterkunft offen zu lassen, erlaube ihnen, das Personal zu behalten. Zudem erhofften sie sich, dass inländische Pfadfinderinnen das «Our Chalet» kennenlernen und später dorthin zurückkehren werden.
YVONNE BALDININI