Weniger Milch aus dem Berggebiet
24.07.2020 Region, WirtschaftKaum etwas hat das Image der Schweiz so geprägt wie die Alpwirtschaft. Doch der Strukturwandel macht auch vor den traditionellen Sömmerungsgebieten nicht Halt.
MARK POLLMEIER
Spätestens seit «Heidi» – der erste Roman erschien 1880 – ist das Älplerleben einem ...
Kaum etwas hat das Image der Schweiz so geprägt wie die Alpwirtschaft. Doch der Strukturwandel macht auch vor den traditionellen Sömmerungsgebieten nicht Halt.
MARK POLLMEIER
Spätestens seit «Heidi» – der erste Roman erschien 1880 – ist das Älplerleben einem internationalen Publikum vertraut. Heute gehört «Haydi» selbst in der Türkei zu den bedeutendsten Kinderbüchern. Aber auch in der Schweiz selbst ist die Alp ein Kulturgut. Wer an Landwirtschaft denkt, denkt die Berge immer irgendwie mit. Die weidenden Kühe, die Alphütten, in denen Käse gemacht wird – kaum vorstellbar, dass es das dereinst nicht mehr geben sollte.
Und doch ist die Alpwirtschaft vielerorts bedroht, so sehr, dass Radio SRF kürzlich schon das Verschwinden des Alpkäses befürchtete. 7472 Sömmerungsbetriebe habe es noch 2003 gegeben, aktuell seien es nur noch 6682. «Gibt es ein Alpsterben?», fragte die Moderatorin im Radiobeitrag.
Ganz so schlimm ist es wohl nicht. Obwohl die Zahl der Betriebe abnahm, ist die Menge der Tiere gleich geblieben. Das Alpsterben ist also eher ein Fusionieren: Kleinere Betriebe werden zu grösseren zusammengelegt, ein Prozess, der im Tal schon länger läuft.
Fleisch statt Käse
Bedroht ist die Alpwirtschat eher durch eine andere Entwicklung: Zwischen 2008 und 2018 stieg die Anzahl Mutterkühe auf der Alp um 54 Prozent. Im Kanton Graubünden waren im Sommer 2019 erstmals mehr Mutterkühe als Milchkühe auf der Alp.
Im gleichen Zeitraum ging die Zahl der Alpen mit Milchverwertung um über 18 Prozent zurück. Das heisst: Immer mehr Betriebe haben sich offenbar für die Fleischproduktion entschieden. Weniger Milch auf den Alpen bedeutet jedoch: weniger Käse. Noch macht der Alpkäse rund 3 Prozent der Schweizer Käseproduktion aus. Hält der Trend zur Mutterkuhhaltung an, wird diese Zahl jedoch sinken.
Besonders in touristisch stark frequentierten Regionen haben die Muttertiere auf der Alp einen weiteren Effekt: Weil Kühe ihre Kälber im Zweifel verteidigen, gibt es häufiger Konflikte mit Wanderern. Aktuell macht der Berner Bauern Verband wieder mit Info-Material auf die Problematik aufmerksam. Je nach Region sorgen sich die Landwirte auch, der Wolf könnte die Mutterkühe derart nervös machen, dass sie panisch werden und sich völlig ungewohnt verhalten.
Generell sind Touristen für die Älpler so eine Sache. Einerseits sind sie sehr willkommen, als Abnehmer von Alpprodukten ebenso wie als Gäste im Alpbeizli. Haben die Ausflügler jedoch wenig «Berg-Erfahrung», lassen sie schon mal ein Gatter offen stehen oder stapfen mit ihren staubigen Wanderschuhen in die Privaträume der Älplerfamilie. Familie von Känel (siehe oben) hat in dieser Hinsicht bisher Glück gehabt.
Die Links zum SRF-Radiobeitrag und zur Checkliste «Rindvieh im Weide- und Wandergebiet» finden Sie in unserer Web-Link-Übersicht unter www.frutiglaender.ch/web-links.html
Zahlen zur Schweizer Alpwirtschaft
• Rund 15 000 Älplerinnen und Älpler ziehen jedes Jahr auf die Alp. Im Kanton Graubünden stammt traditionell ein Drittel von ihnen aus dem Ausland.
• Rund 700 000 Tiere verbringen den Sommer auf der Alp.
• Die 4655 Quadratkilometer Sömmerungsweiden entsprechen rund einem Drittel der landwirtschaftlich genutzten Fläche der Schweiz oder circa 11 Prozent der Landesfläche.
• Die Waldfläche im Sömmerungsgebiet nimmt pro Jahr um rund 1300 ha zu.
QUELLEN: EIDG. FORSCHUNGSANSTALT WSL, AGRARBERICHT BUNDESAMT FÜR LANDWIRTSCHAFT, SCHWEIZERISCHER ALPWIRTSCHAFTLICHER VERBAND, ALPFUTUR, RADIO SRF