Bauern und FDP: Allianz gegen die Agrarpolitik des Bundes
28.08.2020 Landwirtschaft, WirtschaftWieder einmal hat die Bauernlobby ihre Macht demonstriert und die Agrarreform des Bundesrats gestoppt – zumindest vorerst. Die ständerätliche Wirtschaftskommission will die AP22+ zurückweisen und verlangt Nachbesserungen. Ihren Etappensieg haben die Landwirte auch der FDP zu ...
Wieder einmal hat die Bauernlobby ihre Macht demonstriert und die Agrarreform des Bundesrats gestoppt – zumindest vorerst. Die ständerätliche Wirtschaftskommission will die AP22+ zurückweisen und verlangt Nachbesserungen. Ihren Etappensieg haben die Landwirte auch der FDP zu verdanken.
BIANCA HÜSING
So schnell kann es gehen: Bis vor Kurzem bekämpfte Markus Ritter die geplanten Freihandelsabkommen mit Südamerika (Mercosur-Staaten) vehement und hätte dafür notfalls sogar mit den Grünen zusammengearbeitet. Nun aber gibt der Präsident des Schweizer Bauernverbands (SBV) seinen Widerstand plötzlich auf. Grund für die scheinbare Kehrtwende ist, so berichtet es die «Sonntagszeitung», eine Abmachung mit den Freisinnigen.
Die FDP bildete das Zünglein an der Waage, als die Wirtschaftskommission des Ständerats (WAK-S) letzte Woche über die Agrarpolitik ab 2022 (AP22+) beriet – und sie vorerst auf Eis legte. Mit einer Mehrheit von 6 zu 4 Stimmen bei einer Enthaltung fordert die Kommission den Ständerat mittels Postulat auf, die Agrarpolitik 22+ zu sistieren und den Bundesrat noch einmal über die Bücher zu schicken. Im Gegenzug für die Schützenhilfe sicherte SBV-Chef Markus Ritter der FDP zu, sich nicht mehr gegen die internationalen Handelsabkommen zu stemmen.
Höhere Standards als in Südamerika
Was wie ein Widerspruch oder ein Einknicken aussieht, passt in Wahrheit zu Ritters Aussagen der letzten Monate. Er kritisierte den Freihandel nicht generell, sondern vor allem im Zusammenspiel mit der Schweizerischen Agrarpolitik. An der AP22+ bemängelte der SBV-Präsident stets, dass sie den Selbstversorgungsgrad der Schweiz senke und die Landwirte mit zusätzlichen Umweltauflagen traktiere. Wenn man gleichzeitig die Pforten für südamerikanische Waren öffne, die viel tiefere Standards hätten, gefährde man letztlich die Konkurrenzfähigkeit Schweizer Produkte.
Insofern ist es zumindest nicht inkonsequent, dass Ritters primäres Ziel in der Bekämpfung der AP22+ liegt, und aus diesem Kampf könnte er als Sieger hervorgehen. In der Wintersession wird der Ständerat darüber entscheiden, ob er auf den Vorschlag seiner Wirtschaftskommission eingeht und die AP22+ zur Überarbeitung an den Bundesrat zurückweist. Die Chancen stehen gut, dass er das auch tut – denn SVP, CVP (Ritters Partei) und FDP haben in dem Gremium die Mehrheit.
Konkret fordert die Kommission einen Bericht, in dem der Bundesrat die Massnahmen zur Aufrechterhaltung des Selbstversorgungsgrads darlegt (momentan liegt dieser bei rund 60 Prozent). Ausserdem soll er erläutern, was getan wird, um den administrativen Aufwand für Bauern zu verringern. Auch die Wettbewerbsverzerrungen gegenüber Auslandsimporten sollen reduziert werden: «Es macht keinen Sinn, Lebensmittel, deren Produktion und Transport im Ausland einen grösseren ökologischen Fussabdruck verursachten als im Inland, in die Schweiz zu importieren», heisst es wörtlich im Postulat der WAK-S. Für den Bericht bekommt der Bundesrat Zeit bis 2022 – bis zu jenem Jahr also, in dem die AP22+ eigentlich hätte in Kraft treten sollen.
Denkzettel an der Urne?
Die Reform der Landwirtschaftspolitik könnte sich also noch um Jahre verzögern – was nicht zuletzt bei Naturschutzverbänden auf Unverständnis stösst. Aufgrund der Verzögerung würden Umweltprobleme zu- und die Biodiversität weiter abnehmen, monieren etwa WWF und Pro Natura. Auch in landwirtschaftlichen Kreisen ist man nicht ausschliesslich begeistert über die Sistierung der AP22+. So werfen Bio Suisse und die Agrarallianz der Wirtschaftskommission vor, die Lösung drängender Probleme zu verschleppen und damit auch die Planungssicherheit von Bauernfamilien zu beeinträchtigen.
Bundesrat Guy Parmelin warnt indes vor einem Denkzettel an der Urne. Mit der Sistierung der Agrarpolitik erhöhe sich die Chance, dass das Stimmvolk Ja zu den «extremen» Trinkwasser- und Pestizid-Initiativen sage. Beide Vorlagen kommen voraussichtlich 2021 zur Abstimmung. Bis zur Wintersession des Ständerats will Parmelin deshalb aktiv werden. «Vielleicht kann man die AP22+ noch verbessern», meinte er in der Radiosendung «Echo der Zeit». Nichts zu tun sei jedenfalls schlimm für die Landwirtschaft.
Die AP22+ in Kürze
Die Agrarpolitik ab dem Jahr 2022 wird als indirekter Gegenvorschlag zur Trinkwasser- und zur Pestizid-Initiative begriffen, da sie unter anderem Massnahmen zur Reduktion schädlicher Pflanzenschutzmittel enthält. So sollen Landwirte den ökologischen Leistungsnachweis (ÖLN) nur erhalten, wenn sie Mittel mit geringem Umweltrisiko einsetzen. Der ökologische Leistungsnachweis ist wiederum Voraussetzung für Direktzahlungen.
Auch sonst wird an den Direktzahlungen (DZ) Hand angelegt. Wer nach Inkrafttreten der AP22+ neu DZ beantragen will, muss ein Eidgenössisches Fähigkeitszeugnis (EFZ) vorweisen und drei betriebswirtschaftliche Fortbildungsmodule besuchen. Rund 1500 Höfe, die zurzeit mehr als 150 000 Franken DZ beziehen, sollen künftig weniger erhalten. Einen Bonus bekämen hingegen jene Bauern, die ihre Tiere weiden lassen oder beim Mähen einen Grünstreifen zugunsten der biologischen Vielfalt stehen lassen. Insgesamt bleiben die DZ-Ausgaben auf dem Niveau der Vorjahre, verteilen sich aufgrund des Hofsterbens aber auf immer weniger Betriebe.
Nebst den ökologischen Standards will der Bundesrat auch die Absicherung von auf dem Hof arbeitenden Lebenspartnern oder Ehegatten stärken. Diese sollen künftig sozialversichert werden und ein Vorkaufsrecht im bäuerlichen Bodenrecht erhalten.
HÜS