Brauchtum in Reinform
04.08.2020 Frutigen, Wirtschaft, Tourismus, RegionELSIGEN-METSCH Dutzende Gäste erlebten am Sonntag den «Tag der offenen Sennhütten» – darunter auch unser Autor Peter Schibli. Sie sahen Sennerinnen beim Käsen zu, degustierten Alpkäse sowie Mutsch und spürten die Willkommenskultur der Älpler.
ELSIGEN-METSCH Dutzende Gäste erlebten am Sonntag den «Tag der offenen Sennhütten» – darunter auch unser Autor Peter Schibli. Sie sahen Sennerinnen beim Käsen zu, degustierten Alpkäse sowie Mutsch und spürten die Willkommenskultur der Älpler. GALERIE PETER SCHIBLI Der Boden der Alp gehört der Elsigenalp-Genossenschaft Frutigen mit 37 Alp-Ansprechern. Die neun Hütten sind in Privatbesitz. Die gesamte Alpfläche beträgt 458 Hektaren, 420 Hektaren sind Weideland, 18 Hektaren Waldweide, 20 Hektaren Wildheu. Gemäss Seybuch beläuft sich die Zahl der Kuhrechte auf 204 2/3. Die BewirtschafterInnen sömmern vor allem ihr eigenes Vieh. Das älteste Gebäude ist über 300-jährig Oberhalb des Golitschepasses, am Aufstieg zum Elsighorn, sind Ruedi und Sylvia Stoller aus Ried unterwegs. Sie besuchen ihre Rinder, die auf dieser Hochalp sömmern. Es gibt noch genug Gras und Wasser, und alle Tiere wirken gesund. Ruedi erklärt, dass die Wasserversorgung im Sommer durch die Leitungen der Schneekanonen geschieht. Angesprochen auf das instabile Wetter, erzählt er von einem Augusttag vor rund 15 Jahren, als es runterschneite. Die Kühe seien in einer verschneiten Mulde zusammengerückt und hätten sich liegend gegenseitig gewärmt. Alpkäse – ein begehrtes Gut Boris, Astrid und Tochter Lena aus Solothurn beobachten Anita beim Käsen. Jeder Griff sitzt. Das Wichtigste sei die Hygiene, erzählt die Sennerin. Bisher hat ihr Alpkäse stets die höchste Punktzahl erzielt. Sie verkauft ihn an die Landi, an ausgewählte Hotels sowie privat. Angesprochen auf ihre vielfältigen Aufgaben meint Anita lakonisch: «Ich bin Allrounderin.» Petunien und Geranien verschönern die Hütte. Ihre jüngeren Kinder sitzen derweil in der Stube und spielen. Vor und nach den Ferien haben sie Alpdispens, um den Eltern zu helfen. Die Türen stehen eigentlich immer offen Auf der Terrasse beim Berghaus der Bergstation spielen zwei Volksmusikanten. Die Gäste erholen sich bei Brauchtum und Gastfreundschaft, Kinder vergnügen sich auf dem Spielplatz. Nur die in der Werbung angekündigte «Gratis Kutschenfahrt» fällt aus. Ein «kommunikatives Missverständnis» sei der Grund, heisst es bei der Seilbahn. Auf der Fahrt ins Tal diskutieren wir den Titel der Veranstaltung und sind uns einig: Einen «Tag der offenen Sennhütten» brauchen wir eigentlich nicht. Wer auf die Elsigenalp zu Besuch kommt, findet überall offene Sennhütten und fühlt sich stets willkommen. Alphütten-Tour Wer den diesjährigen Elsigdorfet verpasst hat, kann das Erlebnis auf einer geführten Alphütten-Tour nachholen. Jeden Mittwoch bis Ende August organisiert Frutigen Tourismus halbtägige Ausflüge auf die Elsigenalp mit Besuch einer Alpkäserei, Frühstück und Degustation. Eine Sennerin erzählt aus ihrem Alltag und erklärt die Käseproduktion. Die Tour dauert von 8.30 Uhr bis Mittag. Treffpunkt ist die Talstation der Elsigenbahn. Obligatorische Anmeldung beim Tourist Center Frutigen unter Tel. 033 671 14 21 oder per E-Mail an frutigen@be-welcome.ch
Die Elsigenalp gilt als gut erschlossene, weidgängige Alp. Auf 1780 bis 2340 m ü. M. liegt sie in einer Mulde zwischen Elsig- und Metschhorn. Die Kalkunterlage sorgt für eine kräuterreiche Flora, die sich dank regelmässiger Niederschläge in diesem Sommer besonders schön präsentiert. «Wir sind mit dem bisherigen Sommer zufrieden», erzählt der 83-jährige Adolf Germann in seiner Hütte einer Gruppe von BesucherInnen. Während diese ihren Kaffee schlürfen, hebt Germann die Käsemasse in einem Tuch aus dem Kupferkessel und presst sie in eine Form.
Stolz zeigt uns Martin Zurbrügg aus Achseten die von seinem Sohn gemietete Hütte. Seine Kühe liegen oder stehen tagsüber wegen der lästigen Fliegen unter dem Wohnraum oder gleich daneben. Nachts weiden sie draussen. Im «Füürhuus» (Küche mit offenem Feuer) putzt Ehefrau Käthi Zurbrügg gerade den Kupferkessel. Die Holzbalken, Wände und Tablare im «Füürhuus» sind schwarz vom Rauch. Kein Wunder: Die Hütte stammt laut Zurbrügg aus dem Jahr 1710 und ist damit das älteste Gebäude an Elsigen.
Zurück im Restaurant Elsighütte auf 1930 m ü. M. serviert uns Wirt Hans Hari ein Plättli mit Hobelkäse, Trockenwurst und einen Streusel-Apfelkuchen mit Rahm. Das Zmittag mundet. Ein Ehepaar aus Luzern besichtigt die Stube, Einheimische geniessen auf der Terrasse die Sonne. Im Winter sei hier deutlich mehr los, versichert Hari und zeigt sich enttäuscht über die ausbleibenden Gäste. In früheren Jahren seien mehr Touristen an den Elsigdorfet gekommen. Die schlechte Wetterprognose und das 1.-August-Wochenende vermutet er als Grund für das Desinteresse.
Bei Res und Anita Schmid Hari, etwas weiter unten, erfährt man alles über die Herstellung von Alpkäse. Das Label darf nur verwendet werden, wenn die Kühe auf der Alp grasen, gemolken werden und der Käse auf der Alp entsteht. Käse, der in der Dorfkäserei produziert wird, heisst Bergkäse. Tochter Stefanie hilft beim Käsen. Zwischendurch findet Grossmutter Anita einen Moment Zeit, um stolz ihren ersten Enkel, Louis (2 Monate), auf den Arm zu nehmen. Die Schmids haben 14 Milchkühe. 6 Tiere sind gerade «guscht», d.h. in der Babypause. Die besten Kühe geben 40 Liter pro Tag.
Gewitterwolken verdecken plötzlich die Sonne, der nächste Regenguss scheint im Anzug. Bei Judith Wyssen im Keller gibts zuvor noch ein- und zweijährigen Alpkäse zu degustieren. Ohne Mutsch ins Tal zu fahren, wäre für uns eine verpasste Gelegenheit.