Schweiz Tourismus spricht zwar von einer negativen Sommerbilanz – die Bergferienorte konnten sich der Gäste aber kaum erwehren. Noch nie besuchten so viele SchweizerInnen die Ferienorte ihrer Heimat. Auch Adelboden und Kandersteg profitieren.

RETO KOLLER
37 Prozent mehr Ferienreisende mit Schweizer Pass, 44 Prozent weniger Ausländer. Das ist die Bilanz von Schweiz Tourismus für die Zeit von Anfang Juni bis Anfang August 2020. Per Saldo könne der Schweizer Ansturm das Wegbleiben der Touristen von ennet den Grenzen aber nicht auffangen, steht in der Medienmitteilung. Trifft dies auch auf Adelboden, Kandersteg und Aeschi zu?

Das Fazit ist durchzogen. Der Adelbodner Hotelier Thomas Hofer besitzt und führt das «Des Alpes», ein 15-Zimmer-Haus mit beliebtem Restaurant ausserhalb des Dorfes. Er ist Präsident des Hotelier-Vereins Adelboden-Lenk-Kandersteg und kennt die Befindlichkeiten: «Die Hotels mit öffentlicher Restauration und Schweizer Stammkundschaft erleben durchs Band weg einen aussergewöhnlich erfolgreichen Sommer. Wer stark vom Seminar- und Gruppengeschäft und von ausländischen Gästen abhängig ist, tut sich schwerer.» Eine Umfrage bei einigen Betrieben bringt die Details an den Tag.

Schweizer Gästewelle im Juli
René Maeder, Hotelier im Kandersteger Waldhotel Doldenhorn, stellt fest: «Der Juni hat recht verhalten begonnen, ab Mitte des Monats zogen die Buchungen mächtig an. Der Juli übertraf unsere Erwartungen bei Weitem, wir verzeichneten einen klaren Zuwachs gegenüber dem Vorjahr.» Die zusätzlichen Buchungen seien ausschliesslich Schweizer Feriengästen zuzuschreiben. Das Gruppenund Seminargeschäft – ein wichtiger Bestandteil der Doldenhorn-Kundschaft – sei jedoch nach wie vor nicht wiedererwacht. «Das macht mir für die kommenden Monate schon ein wenig Sorgen, weil auch die Gäste aus dem englischsprachigen Raum fehlen werden», dämpft Maeder die Freude am gelungenen Sommer.

Der bestandene Gastgeber hat eine weitere, bemerkenswerte Feststellung gemacht. Mäder stellt einen starken Zuwachs an Kunden aus der französischsprachigen Schweiz fest: «Unsere welschen ‹Compatriotes› sind sehr genussfreudige Gäste, die auch gerne mal eine gute Flasche Wein zu einem feinen Essen bestellen», meint er. Dies ist auch Esther Reimann vom Speiserestaurant «Alte Taverne» in Adelboden aufgefallen. Sie schätzt die Genuss- und Ausgabenfreudigkeit der Kunden aus der Westschweiz hoch ein. «Wir konnten unseren Weinumsatz im Juli gegenüber dem Vorjahr fast verdoppeln – auch wegen der Romands», lässt sie wissen. Ihr Lokal wurde in den letzten Wochen so stark gebucht, dass sie sich entschloss, die Öffnungstage von drei auf fünf pro Woche zu erweitern. «Wir konnten den Ansturm nur dank unseres sehr flexiblen Teilzeitpersonals bewältigen», lässt die erfahrene Gastronomin wissen.

Thomas Hofer bläst ins gleiche Horn: «Mehr Hotel- und Restaurationsgäste heisst mehr Arbeit für alle. Freie Tage müssen verschoben werden, es häufen sich Überstunden an», beschreibt er die Lage stellvertretend für seine Berufskollegen.

Engpässe auch am Wochenstart
Wer in letzter Zeit im Lohnerdorf auswärts essen gehen wollte, tat gut daran, seinen Tisch zu reservieren. Laut Hofer fehlten in Adelboden Restaurationsplätze. Ganz besonders rar waren Plätze auf Terrassen. Dies nicht zuletzt, weil die Tische im beliebten «Dorfplatzgarten» des Hotels Bären und des Time Out Pubs wegen Neubau des Hotels Kreuz fehlten. Der Mangel an freien Tischen treffe nicht nur für die Wochenenden zu, sondern auch für den Wochenbeginn. «Mehrere Betriebe haben jeweils am Montag und / oder am Dienstag geschlossen. Das führte zu weiteren unerwünschten Engpässen. Sollte sich der Trend Richtung Sommerferien in der Schweiz nächstes Jahr wiederholen, müssen wir uns besser absprechen, um unsere Kundschaft nicht zu verprellen», sagt Hofer.

«Ich schaue nur noch drei bis vier Wochen in die Zukunft»
Wer in den vergangenen Jahren auf das Gruppengeschäft mit asiatischen und indischen Gästen gesetzt hat, tut sich nun sehr schwer. Das Hotel Aeschi Park in Aeschi ist ein solches Haus. Laut Direktor Rainer Riedl sind die Appartements während der Sommerferien dank Schweizer Familien recht gut gebucht worden. Trotzdem kam der Umsatz nicht über 40 Prozent des Vorjahres hinaus. «Der Herbst ist sehr ungewiss und wir wissen nicht, ob wir den Betrieb im Winter offenhalten können», meint Riedl.
Anke Lock ist Direktorin des Viersternehauses The Cambrian in Adelboden. Sie hat ähnliches beobachtet: «Ab Mitte Juni stiegen die Buchungen von Schweizern fast explosionsartig an. Ihr Anteil nahm von 30 auf 70 Prozent zu.» Lock freut sich über die Genussfreude der Inländer: «Sie brauchen unseren Aussenpool nicht nur als Selfie-Kulisse, sondern geniessen den gesamten Wellnessbereich.» Auch im «The Cambrian» ist der Seminartourismus fast vollständig zum Erliegen gekommen. Deshalb wagt die Direktorin keinen Ausblick in den Herbst. «Ich schaue nur noch drei bis vier Wochen in die Zukunft», lautet ihr Fazit.

Volle Ferienwohnungen, Platz in Gruppenhäusern
Martin Brühlmann ist Geschäftsführer der Fewo Adelboden AG. Die Firma vermietet rund 30 Ferienwohnungen und mehrere Gruppenhäuser. Die Wohnungen seien ausgezeichnet belegt gewesen – dies fast ausschliesslich von Schweizern. Die Gruppenhäuser hingegen litten unter dem Wegfall der ausländischen BesucherInnen, insbesondere aus England. «Gegenüber dem Vorjahr haben wir rund 50 Prozent Belegung verloren», sagt Brühlmann. In den kommenden Monaten seien die Ferienwohnungen weiterhin gut gebucht, in den Gruppenhäusern befürchtet Brühlmann aber Stornierungen von Schullagern.

Im Frutigresort in Frutigen waren die Campingplätze praktisch ausgebucht, in den Gruppenunterkünften im Frutighus sah es weniger gut aus. «Wir hatten immerhin einige Sportklubs zu Gast», lässt Mitarbeiter Christof Kaufmann wissen. Er muss zurzeit zu seinem Leidwesen Storni entgegennehmen, weil das Frutiger Schwimmbad ab Mitte August eine viermonatige Sanierung vor sich hat (der «Frutigländer» berichtete). «Das wird uns viele Buchungen kosten», ist Kaufmann überzeugt.

Niemand wagt eine Prognose
Wer im Ausnahmesommer 2020 das richtige Angebot hatte, konnte Ausfälle aus dem Spätwinter weitgehend kompensieren oder sich gar ein Polster für die kommenden Monate anlegen. Bei aller Freude über die letzten Wochen bleibt die Unsicherheit beim Blick in die Zukunft. Verbringen die Einheimischen auch im Herbst ihre Ferien in der Schweiz? Sind die Seniorinnen und Senioren reisefreudiger? Erholt sich das Seminargeschäft? Kehren die Gäste aus den Nachbarländern und den Benelux-Staaten zurück? Was erwartet die Hotellerie im kommenden Winter? Niemand wagt eine Prognose – auch Schweiz Tourismus nicht. Der weitere Verlauf der Pandemie schwebt wie ein Damoklesschwert über den Häuptern der Touristiker.

Zwischen Boom und Flaute

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