Eine Annäherung in der Raumplanung
17.11.2020 Region, PolitikLange Wartezeiten und zu starke Einmischung: Viele Gemeinden sind mit den raumplanerischen Verfahren des Kantons Bern unzufrieden. Nun haben sich beide Seiten zusammengesetzt und konkrete Massnahmen verabschiedet. Den Gemeinden werden damit deutlich mehr Kompetenzen ...
Lange Wartezeiten und zu starke Einmischung: Viele Gemeinden sind mit den raumplanerischen Verfahren des Kantons Bern unzufrieden. Nun haben sich beide Seiten zusammengesetzt und konkrete Massnahmen verabschiedet. Den Gemeinden werden damit deutlich mehr Kompetenzen zugestanden.
BIANCA HÜSING
Die raumplanerischen Gräben sind zweifelsohne tief. Zwischen Bauherrschaft und Bauverwaltung, zwischen Gemeinden und Kanton liegen immer wieder sehr unterschiedliche Interessen, auseinanderdriftende Rechtsvorstellungen – und nicht zuletzt auch verfahrenspolitische Missverständnisse. Beispielhaft dafür steht die kantonale Vorprüfung. Während so manche Gemeinde sie als Schikane und als teils zu grossen Eingriff in ihre ortsplanerische Hoheit wahrnimmt, hat die Vorprüfung in den Augen des Kantons eine präventive Funktion. Man will rechtliche Hürden erkennen und benennen, bevor eine Ortsplanungsrevision oder Überbauungsordnung zur Abstimmung kommt – und die Gemeinde die Planung unter Umständen komplett neu aufrollen muss.
So gesehen will der Kanton einer Verzögerung der Projekte vorbeugen. In der Praxis aber kommt es oft schon während der Vorprüfung zum Verfahrensstau. Als Extrembeispiel dafür dient die Gemeinde Mirchel am Rand des Emmentals. Fünf Jahre musste diese warten, bis ihre Ortsplanungsrevision die Vorprüfung durchlaufen hatte – was wohl auch auf ein unglückliches Timing zurückzuführen ist. Mit der Revision des Raumplanungsgesetzes (RPG 1) und des kantonalen Richtplans hatte sich die Rechtslage während dieser Zeit völlig verändert.
Doch auch jenseits von Mirchel dauert die Vorprüfung oft deutlich länger als die vorgesehenen drei Monate, wie Justizdirektorin Evi Allemann (SP) am vergangenen Freitag gegenüber den Medien einräumte.
Einigung nach anfänglichem «Dampfablassen»
Damit es nicht mehr (oder seltener) zu derlei Ärgernissen kommt, wandte sich der Verband Bernischer Gemeinden (VBG) letztes Jahr mit einem Forderungspapier an den Kanton. Das Amt für Gemeinden und Raumordnung (AGR) solle sich während der Vorprüfung aufs Wesentliche konzentrieren und nur dann Genehmigungsvorbehalte aussprechen, wenn es eindeutige Rechtsverstösse erkenne. Hinsichtlich der Zweckmässigkeit eines Vorhabens solle sich das AGR überhaupt nicht einmischen, sofern eine Gemeinde dies nicht ausdrücklich wünsche. Von den Gemeinden erwartet der VBG im Gegenzug, dass sie saubere Vorarbeit leisten und vollständige Unterlagen in die Vorprüfung geben.
Angestossen von der Initiative des VBG rief Regierungsrätin Evi Allemann ein Kontaktgremium ins Leben mit dem Ziel, die kritisierten Verfahren zu entschlacken und zu beschleunigen. Vor allem aber sollte es die Gräben zwischen Gemeinde- und Kantonsinteressen schliessen. Wie gross der Frust auf beiden Seiten war, schilderte Beat Stalder, Experte für Raumplanungsrecht und Moderator des Kontaktgremiums, aus erster Hand: «Zu Beginn waren die Fronten spürbar verhärtet, es wurden heftige Diskussionen geführt.» Offenbar sei dieses «Dampfablassen» jedoch wichtig gewesen für die anschliesende Annäherung. Ab dem dritten Treffen habe sich das Klima deutlich verbessert und die Gemeinde- und Kantonsvertreter hätten sogar Verständnis füreinander entwickelt. In insgesamt sieben Sitzungen konnte sich das Gremium schliesslich auf diverse Massnahmen einigen, die den Gemeinden mehr Flexibilität und Handlungsspielraum gewähren sollen.
Eigenständig Fachberichte einholen
Die wohl entscheidendste Neuerung: Künftig dürfen Gemeinden einen Teil der Vorprüfung selbst in die Hand nehmen. Dazu gehört zum Beispiel das Einholen von Fachberichten. Allerdings weist die Justizdirektion darauf hin, dass dies den Gemeinden einiges an Planungskompetenz und Ressourcen abverlangt. Ausserdem verbleibe die rechtliche Beurteilung auch künftig in der Verantwortung des AGR. Um diese Massnahme umsetzen zu können, muss der Kanton zunächst sein Baugesetz revidieren, was laut Evi Allemann möglichst bis 2023 erfolgt sein soll.
Damit es gar nicht erst zu Missverständnissen und Stolpersteinen kommt, sollen sich AGR und Gemeinden überdies schon im Vorfeld der Planung zu einem sogenannten Startgespräch treffen. Dieses wird mit der Revision des Baugesetzes verpflichtend eingeführt. Auf Wunsch können die Gemeinden aber schon jetzt ein solches Startgespräch verlangen. Ebenfalls ab sofort möglich ist es, das öffentliche Mitwirkungsverfahren parallel zur Vorprüfung laufen zu lassen.
Durch diese und andere Massnahmen soll das Verhältnis zwischen Kanton und Gemeinden insgesamt partnerschaftlicher werden, wie auch Grossrat und VBG-Präsident Daniel Bichsel an der Medienkonferenz betonte. Ob das gelinge, hänge aber vom Engagement beider Seiten ab. Sowohl der Kanton als auch die Gemeinden müssten zur Beschleunigung der Verfahren beitragen.
Kein Einfluss auf einzelne Bauvorhaben
Auf den grössten Streitpunkt in puncto Raumplanung haben die neuen Massnahmen jedoch keinerlei Einfluss: die strengen Regeln beim Bauen ausserhalb der Bauzone. Diese sind und bleiben geltendes Bundesrecht – von dem das AGR selbst dann nicht abweichen könnte, wenn es wollte. Die vom Kontaktgremium beschlossenen Massnahmen beziehen sich ausschliesslich auf gemeindepolitische Vorhaben wie Ortsplanungen und Überbauungsordnungen. Konkrete Bauprojekte sind davon nicht berührt.
Was also den Spielraum beim Umund Ausbauen alter Bauernhäuser betrifft, müssen sich die Betroffenen wohl noch bis zum Abschluss der zweiten Revision des Raumplanungsgesetzes (RPG 2) gedulden.