Frutigens frühe Frauenrechte
11.12.2020 Frutigen, Gesellschaft, PolitikGESCHICHTE Im Februar 1971 erhielten Schweizer Frauen endlich das Stimmund Wahlrecht. Für Frutigen war das nichts Neues: Die Gemeinde hatte das Frauenstimmrecht schon früher eingeführt – an einer denkwürdigen Gemeindeversammlung vor genau 50 Jahren.
TONI KOLLER
GESCHICHTE Im Februar 1971 erhielten Schweizer Frauen endlich das Stimmund Wahlrecht. Für Frutigen war das nichts Neues: Die Gemeinde hatte das Frauenstimmrecht schon früher eingeführt – an einer denkwürdigen Gemeindeversammlung vor genau 50 Jahren.
TONI KOLLER
Hinter der Frutiger Pioniertat – nur Unterseen und Thun waren im Kanton noch schneller – steckte der damalige Strasseninspektor Jean Wenger. Teilweise in Frankreich aufgewachsen, hatte Wenger seine Eltern schon als Kind zur Stimmabgabe in die dortigen Wahllokale begleitet. Als er in Frutigen ankam, konnte er nicht fassen, dass seiner Mutter dieses Recht hier nicht zustand. So startete der rührige FDP-Mann, der auch sonst nicht mit seiner Meinung zurückhielt, im Frühjahr 1970 eine Initiative zur Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechts in Gemeindeangelegenheiten. Dabei unterstützte ihn ein recht breit abgstütztes Komitee aus Mitgliedern von FDP, SP, BGB (heute SVP) sowie parteilosen Mitstreitern. Ihr Motto: «Lieber das Stimmrecht gleich selbst einführen, als sich später von Kanton und Bund dazu zwingen zu lassen.»
Fusstritte gegen Stimmrechtskämpfer
Das Anliegen des wackeren Komitees stiess bei manchen Frutigern auf wenig Begeisterung. So erinnerte sich Jean Wenger später, ein wütender Bürger habe einem Mitglied beim Unterschriftensammeln einen «Tritt in den Hintern» verpasst; auf ihn selbst sei ein Hund gehetzt worden. Auch behaupteten manche, die Frauen begehrten ja gar nicht, an der Demokratie teilzuhaben – und dergleichen mehr. In einem Brief an seine Mitinitianten konstatierte Jean Wenger, der später auch als Gemeinderat amtierte: «Verschiedene Kreise betrachten unser Vorgehen, obwohl überparteilich und demokratisch berechtigt, als unklug oder mehr als unbequem und möchten das Ganze abblasen.»
Nichtsdestotrotz kam die Unterschriftensammlung zügig voran: Am Schluss konnte das Komitee dem Gemeinderat statt der erforderlichen 175 Signaturen deren 337 einreichen – selbstredend ausschliesslich von den allein stimmberechtigten Frutiger Männern.
Nun war der Ball beim Gemeinderat. Dieser wollte das Volksbegehren zunächst aus formalen Gründen ablehnen, rang sich dann aber doch zu einer Ja-Empfehlung durch – offenbar in der Erwartung, die Sache würde ohnehin bachab gehen. «Ihr gebt uns nur überflüssige Arbeit», soll der damalige Gemeindepräsident zu Jean Wenger gesagt haben.
Triumph an der Gemeindeversammlung
Als sich am 12. Dezember 1970 an die 300 Frutiger Stimmberechtigte (Männer!) zur Gemeindeversammlung trafen, war die Spannung gross – und die Überraschung ebenso: Die Frauenstimmrechts-Vorlage erhielt mit 178 Ja gegen 92 Nein eine überdeutliche Zustimmung. Es war exakt jenes Zweidrittelsmehr, welches zwei Monate später dem gesamtschweizerischen Frauenstimmrecht den Durchbruch bringen sollte.
Frutigen kann für sich beanspruchen, die überfällige Neuerung ebenso klar und eigenständig vorweggenommen zu haben. Aber damit es uns Frutigländern nicht in den Kopf steigt: Erst 1984 hatte Frutigen mit Beatrice Germann eine erste Gemeinderätin. Und die Schweizer Gemeinde, die ihre Frauen – wenn auch vorerst nur demonstrativ – am frühsten an die Urne rief, ist und bleibt Unterbäch im Wallis. Das war im Jahr 1957.