Ein Streit um zwei Sonntage
05.02.2021 Region, PolitikEin Gesetz zu überarbeiten, ist eine komplexe Angelegenheit. Insofern liegt es nahe, bei der Revision sämtliche «Baustellen» auf einmal anzupacken. Doch beim Gesetz über Handel und Gewerbe war dies offensichtlich der falsche Weg – nun wird darüber abgestimmt.
MARK ...
Ein Gesetz zu überarbeiten, ist eine komplexe Angelegenheit. Insofern liegt es nahe, bei der Revision sämtliche «Baustellen» auf einmal anzupacken. Doch beim Gesetz über Handel und Gewerbe war dies offensichtlich der falsche Weg – nun wird darüber abgestimmt.
MARK POLLMEIER
Der eine Teil der Revision ist nahezu unbestritten: Für elektronische Zigaretten (sogenannte E-Zigaretten) sollen künftig die gleichen Regeln gelten wie für herkömmliche Raucherwaren. Das bedeutet unter anderem, dass Abgabe und Verkauf von E-Zigaretten an Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren verboten wären. Ein Zankapfel war aber von Beginn an die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten. Ursprünglich sollten sie um eine Stunde pro Woche ausgedehnt werden. Die Läden im Kanton Bern hätten am Samstag statt um 17 erst um 18 Uhr schliessen müssen. Ausserdem sollte es neu vier statt bisher zwei verkaufsoffene Sonntage im Jahr geben.
Aussergewöhnlich wäre diese Ausdehnung nicht gewesen: Im schweizweiten Vergleich befindet sich der Kanton Bern mit der heutigen Regelung der Ladenöffnungszeiten ungefähr im Mittelfeld der Kantone – und er wäre es auch nach der Erweiterung der Öffnungszeiten.
Doch während der parlamentarischen Debatte formierte sich bald Widerstand gegen die Liberalisierung. Gegenwind kam einerseits aus dem Grossen Rat selbst, andererseits von Gewerkschaftsseite.
Kein tragfähiger Kompromiss
Um die Gesetzesrevision zu retten, speckte man die ursprüngliche Vorlage ab und strich die zusätzliche Stunde am Samstag. Übrig blieben zwei weitere verkaufsoffene Sonntage. Mit dieser Kompromisslösung sollte die Revision gerettet und der bessere Jugendschutz bei den E-Zigaretten auf den Weg gebracht werden.
Doch die Rechnung ging nicht auf, die Gewerkschaften liessen sich nicht besänftigen. Kaum waren im Grossen Rat die letzten Abstimmungen über die Bühne gegangen, kündigte die Gewerkschaft Unia bereits an, gegen den Beschluss das Referendum zu ergreifen. Der Gewerkschaftsbund des Kantons Bern und diverse weitere Gewerkschaften schlossen sich dem Vorhaben an. Unterstützt wurde das Referendum ausserdem von der SP, den Grünen Kanton Bern und der EVP, ferner von der EDU und der Sonntagsallianz, die sich den Schutz des Sonntags vor Wirtschaftsinteressen auf die Fahne geschrieben hat. Die Sammelphase verlief trotz der zeitweisen Corona-Einschränkungen erfolgreich. Mit über 17 000 Unterschriften wurde Ende Oktober 2020 das Referendum eingereicht – nötig wären lediglich 10 000 Stimmen gewesen. Die Gewerkschaften sprachen von einer «grossartigen Solidarität mit dem Verkaufspersonal». Möglicherweise hatte aber genau dieses Verkaufspersonal selbst zum Ergebnis beigetragen: Rund 40 000 Menschen arbeiten im Kanton Bern im Detailhandel – und damit weit mehr als Unterschriften nötig gewesen wären.
Vorsorglich mit Eventualantrag
Nun wird also das Berner Stimmvolk über das revidierte Gesetz entscheiden. Und weil diese Abstimmung fast schon vorhersehbar war, hatte der Grosse Rat vorgesorgt und neben dem Hauptantrag auch einen Eventualantrag formuliert. Auf diese Weise soll wenigstens der Jugendschutz-Anteil des Gesetzes gerettet werden. Lehnt also das Volk die Hauptvorlage mit den neu vier verkaufsoffenen Sonntagen pro Jahr ab, kann es mit dem Eventualantrag immer noch die Ausdehnung des Jugendschutzes gutheissen.
Gleichzeitig wird dem Souverän auch noch eine Stichfrage vorgelegt. Sie käme bei einem doppelten Ja zur Anwendung. Würden beide Vorlagen – Haupt- und Eventualantrag – abgelehnt, bliebe es beim heutigen Gesetz über Handel und Gewerbe, also ohne die Erweiterung des Jugendschutzes und ohne eine Ausdehnung der Öffnungszeiten.
KOMMENTAR
Symbolpolitik auf beiden Seiten
Wer die Debatte um die Ladenöffnungszeiten verfolgt, kann sich angesichts der strapazierten Argumente nur wundern. So behaupten die Befürworter unter anderem, eine Liberalisierung mache die Läden konkurrenzfähiger gegenüber dem Onlinehandel. Selbst wenn es bei der zusätzlichen Stunde pro Woche geblieben wäre, scheint diese Erwartung doch etwas weit hergeholt.
Die Gegner wiederum malen den Teufel an die Wand und reden davon, mit einer Liberalisierung würden sich die Arbeitsbedingungen des Verkaufspersonals weiter verschlechtern. Wohlgemerkt: Inzwischen geht es nur noch um zwei zusätzlich geöffnete Sonntage pro Jahr.
Wahrscheinlicher ist wohl: Mit der bescheidenen Ausdehnung der Öffnungszeiten würde sich kaum etwas ändern. Weder hält man damit das Ladensterben auf noch werden verödete Innenstädte dadurch attraktiver. Und dass die Arbeitsbedingungen im Dateilhandel schlecht sind, mag wohl sein. Das aber ist ein grundsätzliches Problem und hat relativ wenig mit zwei weiteren Verkaufssonntagen im Jahr zu tun – zumal ja kein Ladenbesitzer gezwungen wäre, sein Geschäft zu öffnen.
So liegt der Verdacht nahe, dass es beiden Seiten vor allem ums Prinzip geht. Die einen können sich als liberale Wirtschaftsförderer und Ladenretter inszenieren – die anderen als aufrechte Interessenvertreter für ihre Mitglieder. Bleibt nur die Frage, ob eine Gesetzesrevision der richtige Schauplatz für derlei Symbolpolitik ist.
MARK POLLMEIER
M.POLLMEIER@FRUTIGLAENDER.CH