Abstimmung: Der Staat solls richten
09.03.2021 Landwirtschaft, AnalyseDer Staat solls richten
E-ID Es hatte sich abgezeichnet in den letzten Wochen: Die elektronische Identität ist nicht mehrheitsfähig – zumindest nicht in der geplanten Form. Und nun?
HANS RUDOLF SCHNEIDER
Der Staat solls richten
E-ID Es hatte sich abgezeichnet in den letzten Wochen: Die elektronische Identität ist nicht mehrheitsfähig – zumindest nicht in der geplanten Form. Und nun?
HANS RUDOLF SCHNEIDER
Dass eine vielerorts einsetzbare Identität im Internet für den Nutzer praktisch ist, liegt auf der Hand. Wer kann sich all die Passwörter merken oder führt gern Listen von Accounts? Der Staat sollte gemäss der Abstimmungsvorlage dafür bürgen, dass diese elektronische Identität (E-ID) auch wirklich mit einer existierenden und ihm bekannten Person übereinstimmt. Doch die Auslagerung der eigentlichen Vergabe an private und gewinnorientierte Organisationen kam bei den Stimmbürgerinnen und -bürgern nicht gut an. Verglichen wurde das Vorhaben mit der Ausstellung von Identitätskarte und rotem Pass, bei denen der Staat die Hoheit hat. Doch bei der wuchtigen Ablehnung überwogen die Befürchtungen, dass die digitalen Daten plötzlich anderweitig genutzt werden oder in den Datenbanken Lecks auftauchen könnten. Das Endresultat (64,4 Prozent Nein-Stimmen) lässt viel Misstrauen erkennen.
Über dem Schweizer Schnitt
Im Frutigland war die Gesetzesvorlage im Vorfeld des Abstimmungswochenendes kaum ein Thema. Dabei hatten Onlineshopping und digitale Dienstleistungen wegen der Corona-Pandemie und der Reduktion von physischen Kontakten wohl auch hier an Bedeutung gewonnen. Mit 68,1 Prozent Ablehnung war die Skepsis im Verwaltungskreis Frutigen-Niedersimmental sogar noch ausgeprägter als im schweizerischen Mittel. Die Nein-Anteile im Frutigland bewegen sich zwischen 63,7 Prozent in Kandersteg und 73 Prozent in Adelboden. Dabei dürfte auch die grundsätzliche Frage eine Rolle gespielt haben, für wen eine E-ID überhaupt nötig sei. Hier argumentierten die Befürworter offensichtlich nicht überzeugend genug.
Neuanfang schon in Arbeit
Verloren haben die Abstimmung sowohl der Bundesrat als auch das Parlament. Die Befürworter aus Wirtschaftskreisen befürchten nun, dass die Schweiz bei der Digitalisierung jetzt wertvolle Zeit verliert. Doch gilt es zu bedenken, dass der Anwender einer E-ID nur einen Nutzen hat, wenn die öffentliche Hand und möglichst viele Anbieter von Produkten und Dienstleistungen ebenfalls mitmachen. Da haben insbesondere die staatlichen Verwaltungen noch viel Arbeit vor sich, die aktuelle Verzögerung kann insofern sinnvoll genutzt werden. Und die siegreichen Gegner wollen Hand bieten, um eine neue Lösung zu finden. Erste politische Vorstösse sind bereits vorbereitet.
Wie weiter?
Dass die Schweiz sich intensiv mit neuen Technologien und der Digitalisierung befassen muss, ist unbestritten. Immer mehr Dienstleistungen werden in Zukunft auch oder nur digital nutzbar sein, und die Sicherheit wird dabei immer wichtiger. Ebenso klar ist seit Sonntag, dass sich eine elektronische Identität bei der Bevölkerung wohl nur als staatliche Lösung durchsetzen wird. Die besondere Herausforderung: Die Bundesverwaltung ist nicht dafür bekannt, besonders rasch und überzeugend Informatiklösungen zu realisieren. Vielleicht ist das an der Urne geäusserte Vertrauen in den Staat Anreiz genug, dabei echte Fortschritte zu machen – denn es warten weitere digitale Baustellen wie etwa das elektronische Patientendossier.