Wenn das Holz fürs neue Dach fehlt …
18.05.2021 Region, WirtschaftIn den letzten Monaten hat sich ein Problem akzentuiert, mit dem die Holzbauer noch nie konfrontiert waren: ein Mangel an Massiv- und Leimholz. Internationale Handelskriege wirken sich so auch im Frutigland aus.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
«Das Thema beschäftigt uns ...
In den letzten Monaten hat sich ein Problem akzentuiert, mit dem die Holzbauer noch nie konfrontiert waren: ein Mangel an Massiv- und Leimholz. Internationale Handelskriege wirken sich so auch im Frutigland aus.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
«Das Thema beschäftigt uns täglich. Die Nachfrage nach Holz in China, Grossbritannien und vor allem den USA treibt die Preise nach oben und verlängert insbesondere die Lieferfristen.» Heinz Burn, Geschäftsführer der Adelbodner Holzbau Burn AG, bringt es auf den Punkt. Holzverarbeitende Firmen müssen derzeit flexibel sein, denn sowohl Massivholz als auch verleimte Produkte sind immer schwieriger zu bekommen – und massiv teurer geworden. Das seien zwei Probleme, die man bisher nicht gekannt habe. «Lieferanten, die selbst Sägereien betreiben, fördern nun zwar die Eigenprodukte aus einheimischem Holz. Aber durch die zu erwartenden Engpässe wird es auch hier zu Preiserhöhungen kommen.» Burn spricht von Mehrkosten bis zu 35 Prozent in seinem Betrieb. Die ganze Situation mache das Kalkulieren schwierig und andererseits bestehe derzeit noch ein grosses Bauvolumen – und zwar nicht nur in Adelboden.
Die USA sind das Hauptproblem
Grössere Nachfrage ist prinzipiell gut, doch auf Knopfdruck lässt sich die Holzproduktion nicht steigern. Drei Faktoren seien in Amerika für die Verknappung verantwortlich:
• Die Strafzölle des Ex-Präsidenten Donald Trump auf kanadischem Holz von 20 Prozent reduzierten den Import aus dem Hauptherkunftsland.
• Die verheerenden Waldbrände in Kalifornien und Schädlingsplagen in den kanadischen Kiefernwäldern schmälern den Rohstoff nachhaltig.
• Immer mehr Heimwerker renovieren ihr Eigenheim oder bauen dieses aus. Auch durch den verstärkten Wegzug aus den Städten aufs Land bricht ein Bauboom aus.
Rohstoff wäre in den Wäldern genug vorhanden. Da aber etliche Holzverarbeiter und Sägereien während der Finanz- und Immobilienkrisen 2008 / 2009 verschwanden, müssen wegen Verarbeitungsengpässen grosse Holzmengen importiert werden. Die Corona-Krise hat zudem auch in den USA Auswirkungen auf die Produktionsmenge.
Der Verband Holzwerkstoffe Schweiz (HWS) hat seine Mitglieder vor dieser Entwicklung gewarnt, auch in der Möbelbranche sind die höheren Materialpreise und Engpässe bereits ein Thema. «Diese Situation hat sich in den letzten Wochen massiv verschärft und wird aus Sicht des Verbandes Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten sicher noch bis zum Herbst andauern», heisst es auf dem Webportal der Schweizer Holzwirtschaft Lignum. Lieferzeiten von 10 bis 14 Wochen seien an der Tagesordnung.
Mehrkosten bis 60 Prozent
Das spürt auch Aaron Zurbrügg von der Künzi + Knutti AG. Er ist froh, dass die Adelbodner Firma diversifiziert hat und neben dem Holzbau beispielsweise auch im Tiefbau aktiv ist. Damit sei man als Gesamtunternehmen weniger anfällig. Allerdings spricht auch er von 40 bis 60 Prozent höheren Einkaufspreisen, insbesondere beim Konstruktionsholz. Man bezahle heute für das Rohmaterial ebenso viel wie im letzten November für fertig verarbeitete Teile. «Das hat im März richtig angefangen und sich rasch gesteigert. Erklärlich ist dieses Tempo nur schwer, den europäischen Markt kenne ich nicht gut genug. So etwas habe ich aber noch nie erlebt.»
Auch für Zurbrügg ist klar, dass vor allem die USA den weltweiten Markt leer kaufen. «Diese Situation ist nicht vom einen auf den anderen Tag umkehrbar, damit der europäische Markt entlastet wird.» Zudem schwächeln auch hier pandemiebedingt Lieferketten, denn gemäss schweizerischem Holzbauverband stammen normalerweise bis zu 70 Prozent des in der Schweiz verbauten Holzes aus dem Ausland. Doch Medienberichten zufolge gibt es in Deutschland zunehmend die gleichen Probleme.
Genug Arbeit, zu wenig Material
Lieferanten haben Aaron Zurbrügg bereits vorgewarnt, dass die Lieferungen ab August noch nicht garantiert werden können. «Das könnte im Extremfall zu der absurden Situation führen, dass ein Gebäude bereit zum Aufrichten ist, aber mangels Holz nicht unter Dach gebracht werden kann. Arbeit wäre genug da, doch die Leute sitzen mit Kurzarbeit zu Hause, weil das Baumaterial fehlt. Verrückt!» Der Ersatz durch einheimisches Holz sei zwar theoretisch möglich. Doch in der Schweiz würde zu wenig Holz geschlagen, und die vorhandene Holzindustrie könne den aktuellen Bedarf nicht decken (siehe Kasten zur Situation im Frutigland). Insbesondere der Wald in den Alpen werde schlecht genutzt. Dort seien allerdings auch die Kosten höher als im Mittelland. Da ausserdem die Holzpreise in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken seien, werde der Zwischenhandel die Verknappung und höhere Erlöse goutieren, wenn nicht gar ausnutzen. Andererseits seien Hamsterkäufe nicht auszuschliessen.
Auch Dämmmaterial wird knapper
Den Holzbauern fehlt aber nicht nur das
Bauholz, sondern beispielsweise auch aus dessen Resten gefertigtes Isolationsmaterial. Auf Erdöl-Abfallprodukten basierende Wärmedämmung werde ebenfalls laufend teurer und knapper. «Es wurde aufgrund der Pandemiemassnahmen viel weniger gefahren und geflogen, also musste weniger Erdöl zu Treibstoff verarbeitet werden. Es fehlen die Restprodukte in den Raffinerien, aus denen Isolationsfolien gefertigt werden», erklärt Aaron Zurbrügg. Allerdings hofft er, dass Um- und Ausbauten oder Renovierungen insgesamt dennoch eine Chance bieten, die schwierige Situation zu überbrücken. «Diese benötigen normalerweise nämlich weniger Holzvolumen.»
Fertige Küchen ohne Schubladen
Etwas weniger stark betroffen sind die Schreinereien und Innenausbauer, beispielsweise die Firma LUAG aus Krattigen. Dennoch ist die Situation ungewohnt: «Wir sind konfrontiert mit Preisaufschlägen zwischen 5 und 30 Prozent für Plattenmaterial. Die Aufschläge werden im Wochentakt kommuniziert», sagt Geschäftsleiter Fred Luginbühl. Das Durchsetzen dieser Kostensteigerungen auf dem Markt werde eine Herausforderung darstellen.
«Unser grösseres Problem ist aber der Engpass bei Beschlägen, Schubladenauszügen und Schlössern. Darauf warten wir teils bis zu zwei Monate. Das heisst, wir bauen eine Küche ein und die Bauherrschaft muss noch bis Juni warten, bis alle Schubladen eingebaut werden können.» Verantwortlich dafür sind ausstehende Materialien und heruntergefahrene Produktionslinien während der Lockdowns in den verschiedenen Ländern. Für die tägliche Arbeit konnte die LUAG bis heute Wege finden, die Lieferengpässe «dank der einsichtigen Kunden unbeschadet zu überstehen». Es seien jedoch noch einige aufreibende Monate zu erwarten, bis sich die Lage stabilisiere, befürchtet Fred Luginbühl.
Das Frutigland hat beachtliche Holzreserven
Bisher haben die lokalen Forstunternehmer und privaten Waldbesitzer den Verkauf ihres Holzes direkt mit Sägereien oder Händlern geregelt. Um eine gezieltere Pflege und Nutzung der Wälder und letztlich auch bessere Erlöse zu erzielen, gründeten die Gemeinden die Geschäftsstelle Forst Frutigland. Seit Anfang des Jahres gehört die Vermarktung zu deren Aufgaben.
Geschäftsstellenleiter Martin Schenk bestätigt eine spürbar stärkere Nachfrage nach sägefähigem Nadelholz – sei es von kleineren lokalen Sägereien oder von den grösseren im Kanton. Speziell für dieses Jahr werde beispielsweise von der OLWO-Sägerei in Erlenbach für eine frühe Holzlieferung ein Sommerbonus ausgezahlt, denn laut den Aussagen der Firma sei der Holzbedarf bis Anfang August noch nicht gedeckt. «Leider sehen die Preislisten entgegen diesen Aussagen noch nicht so aus, dass der Waldbesitzer von dem erhöhten Bedarf wirklich profitieren kann», relativiert Schenk. Eine deutliche Preiskorrektur nach oben würde automatisch mehr Holz auf den Markt bringen. «Zudem können wir während der Brut- und Setzzeit nebst dem Forstschutz keine grösseren Eingriffe im Wald tätigen, was die Lieferung von frischem Holz zwischen April und Mitte Juli unmöglich macht.»
Die Menge an geschlagenem Holz hat seit den Stürmen Vivian und Lothar kontinuierlich abgenommen – vor allem, weil der Holzpreis durch die Sturmschäden, die darauffolgenden Käferschäden und den Anschluss an den Weltmarkt stetig weiter gesunken ist. «Im Privatwald ist die Menge von geerntetem Holz verschwindend klein geworden, häufig wird er gar nicht mehr oder nur noch für den Eigenbedarf genutzt. Die grösseren Mengen werden noch in den Projekten zur Schutzwaldpflege geerntet», beurteilt der Leiter der Geschäftsstelle die Situation im Frutigland. Insgesamt seien in den letzten fünf Jahren noch 4000 bis 6000 Kubikmeter Holz jährlich auf den Markt gekommen, wovon ein beträchtlicher Teil Industrie-, Brenn- und Hackholz sei.
Stürme wie Vivian und Lothar hätten grosse Lücken in die alten Nadelwälder geschlagen, dadurch seien im Frutigland inzwischen Gebiete mit einem guten Anteil an jungen, arten- und strukturreichen Wäldern vorhanden. Denen gegenüber stünden aber weiterhin grosse Flächen mit alten, dunklen Wäldern mit wenig Verjüngung. «Diese sind weiter windwurfgefährdet und werden mit dem Alter anfälliger für Trockenheitsschäden und Borkenkäferbefall.» Viele der Wälder schützen Dörfer und Infrastrukturen und sollten in den nächsten Jahrzehnten laufend gepflegt und aufgelichtet werden.
Es gibt also durchaus mehr Potenzial: «Dieser Handlungsbedarf und der Zuwachs in den Wäldern des Frutiglandes würden eine Nutzung von 15 000 Kubikmetern pro Jahr zulassen. Dafür müssten aber einerseits die Waldbesitzer bereit sein und andererseits die kantonalen Fördermittel für die Schutzwaldpflege auf einer solchen Fläche zur Verfügung stehen», so Schenk. Beides sei im Moment noch nicht der Fall. Die Geschäftsstelle Forst Frutigland arbeite aber daran, die jährlich gepflegte Waldfläche stetig zu erhöhen, wodurch automatisch auch mehr Holz auf den Markt gelange. «Eine Verdopplung der Menge geschieht aber nicht von heute auf morgen», ist sich Schenk bewusst.
HSF