Die Opposition, die keine ist
08.06.2021 Frutigen, Analyse, PolitikBei Obmannwahlen in Frutigen führt seit 20 Jahren kein Weg an der SVP vorbei. Zumindest eine Teilschuld daran tragen die übrigen Parteien, die meist darauf verzichten, einen Gegenkandidaten ins Rennen zu schicken. Woher rührt diese Zurückhaltung? Und vor allem: Ist sie ein Problem? ...
Bei Obmannwahlen in Frutigen führt seit 20 Jahren kein Weg an der SVP vorbei. Zumindest eine Teilschuld daran tragen die übrigen Parteien, die meist darauf verzichten, einen Gegenkandidaten ins Rennen zu schicken. Woher rührt diese Zurückhaltung? Und vor allem: Ist sie ein Problem?
David gegen Goliath: Anders lässt sich die Konstellation im aktuellen Wahlkampf ums Gemeinderatspräsidium nicht umschreiben. Mit Hans Schmid tritt ein Kandidat zur Wiederwahl an, der seit 2017 fest im Sattel sitzt und mit der SVP nicht nur die stärkste Partei im Rücken weiss, sondern auch bedeutende Interessengruppen wie etwa die Schützen oder die Landwirte. Sein Thronsturz käme einer Premiere gleich – zumal der einzige Gegenkandidat, Urs Peter Künzi, ein kaum vernetzter Einzelkämpfer ist. Dessen politisches Programm ist mit den meisten mehrheitsfähigen Frutigländer Positionen kaum vereinbar.
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Dabei wären in Frutigen Gegenkandidaten mit einem etwas solideren Fundament durchaus denkbar. Denn die Gemeinde ist die wohl einzige im Tal, in welcher der politische Wettwerb spielt: Zumindest bei den Gemeinderatswahlen, die seit einiger Zeit gesondert ein halbes Jahr nach den Obmannwahlen stattfinden, treten jeweils mehrere Parteien mit gut bestückten Listen an. Gewählt wird nach dem Proporzsystem, im Vordergrund stehen somit nicht Einzelpersonen, sondern Parteien und Listenverbindungen. Während die EDU mit der SVP inhaltlich stark verbandelt und der Stellenwert der SP zurzeit marginal ist, fällt die Rolle der Opposition am ehesten dem Liberalen Frutigen (LF) und der EVP zu. Beide halten sie sich aber vom Wahlkampf fern: Weder stellten sie einen Gegenkandidaten auf noch unterstützen sie den aktuellen Herausforderer offiziell. Hingegen erregte jüngst ein Inserat im «Frutiger Anzeiger» Aufmerksamkeit, in dem der Gemeinderat geschlossen für Hans Schmid wirbt. Alle acht Räte sind namentlich aufgeführt.
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Nach Opposition tönt das alles nicht. Doch weshalb halten sich die Parteien derart zurück? Ein Blick in die Vergangenheit zeigt zunächst einmal, dass Obmann-Kampfwahlen in Frutigen kaum Tradition haben. 2016 setzte sich Hans Schmid gegen Herausforderer Hans Peter Bach (EVP) durch, die Vorgänger Ruedi Egger und Karl Klossner (beide SVP) wurden hingegen je zweimal still gewählt. Die letzten öffentlichen Wahlen liegen bereits 28 Jahre zurück, damals siegte Walter Donzé spektakulär, da er als EVP-Mitglied als Exot für dieses Amt galt. Noch seltener sind Kampfwahlen dann, wenn sich amtierende Gemeinderatspräsidenten zur Wiederwahl stellen – so wie heuer Hans Schmid. Sowohl für die EVP wie auch für das LF spielt die Kontinuität eine zentrale Rolle. Da der Obmann eine planerische Funktion ausübe, seien kurze Amtszeiten nicht unbedingt sinnvoll, sagt etwa Hans Peter Bach, Präsident der EVP Frutigen. Iris Fuchs, Co-Präsidentin des LF, ergänzt: «Einen amtierenden Obmann zu stürzen, wäre ein enormer Kraftakt. Wir hätten wohl fähige Kandidatinnen und Kandidaten, wollen diese aber nicht verheizen.» Tritt ein Gemeinderatspräsident in Frutigen zur Wiederwahl an, scheint das Prozedere somit eine Formsache zu sein. Bringt es denn überhaupt etwas, wenn wie dieses Jahr ein Sprengkandidat ins Rennen steigt und einen Urnengang erzwingt? Für Hans Peter Bach ist der Nutzen klar vorhanden: «Dass BürgerInnen ihren Willen regelmässig äussern dürfen, ist in unserem System von zentraler Bedeutung und stärkt das Vertrauen in die demokratischen Institutionen. Diese Vorteile wiegen den Aufwand und die Mehrkosten, die durch die Wahl entstehen, problemlos auf.»
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Zwar ist Bach der Ansicht, dass in Frutigen auch Kandidierende ausserhalb der SVP durchaus die Chance hätten, zum Obmann gewählt zu werden. Doch seit Walter Donzés Amtszeit (1994–2001) kam das nicht mehr vor. «Wer Mitglied der SVP ist, hat entscheidende Vorteile», sagt Iris Fuchs denn auch. Dennoch stellt sie in Aussicht, in vier Jahren einen eigenen Kandidaten oder eine Kandidatin zu lancieren. Doch ist diese Vormachtstellung der Schweizerischen Volkspartei überhaupt ein Problem? Hans Peter Bach relativiert. Ein Obmann agiere auf zwei Ebenen: Zum einen führe er das Gremium und dessen Sitzungen. «Da die Traktanden meist gegeben sind, hat der Präsident hier inhaltlich wenig Spielraum. Wie stark er das Geschehen prägt, hängt primär von seinem Charakter ab und nicht von der Parteizugehörigkeit.» Die zweite Ebene sei hingegen bedeutender: «Dem Obmann unterliegt das Präsidialressort, das sehr wichtige Bereiche umfasst. Der Gemeinderatspräsident ist somit für die langfristige Planung zuständig und prägt die Zukunft der Gemeinde massgeblich.» Auch Iris Fuchs erachtet die Charaktereigenschaften des Obmanns als zentral. So mache es beispielsweise einen grossen Unterschied, ob ein Präsident andere Meinungen zulasse oder primär seinen Überzeugungen Gewicht verleihe. Gleichzeitig würde es die LF-Co-Präsidentin begrüssen, wenn beim Präsidialposten auch andere Parteien zum Zug kämen. Zum einen fände sie es wichtig, den BürgerInnen zu zeigen, dass die Frutiger Politik nicht bloss von der SVP gestaltet werde. Zum anderen nimmt sie die Schweizerische Volkspartei zunehmend als Verteidigerin des Status quo wahr. «Ein Wechsel ab und zu würde sicher neue Impulse geben und für etwas mehr Dynamik sorgen.» Doch wie, wenn nicht bei ordentlichen Wahlen, könnte ein solcher Wechsel herbeigeführt werden? Spruchreif sei noch nichts, sagt Iris Fuchs, doch wäre für sie ein automatischer Turnus im Präsidium denkbar, der beispielsweise nach folgendem Muster abliefe: vier Jahre SVP – vier Jahre Liberales Frutigen als derzeit zweitstärkste Kraft – vier Jahre eine andere Minderheitspartei. «Ein solcher mehrjähriger Zyklus würde die Frutiger Politik sicher vorwärtsbringen und die langfristige Planung weiterhin gewährleisten.»
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Bleibt die Frage, wie man eine solche Idee mehrheitsfähig machen könnte. Zunächst bräuchte es wohl einen gemeinsamen Effort der Minderheitsparteien und ganz grundsätzlich den Willen, auf Konfrontationskurs zu gehen. Mit anderen Worten: Die Opposition müsste als solche in Erscheinung treten. Denn dass die SVP Änderungen der Spielregeln zulässt, die sie aus der Poleposition drängen könnten, ist unwahrscheinlich. Zentral dürften zudem die Gemeinderatswahlen im Herbst sein. Gegenwärtig hat die SVP vier von neun Sitzen inne, hinzu kommt ein Sitz der EDU, die der Volkspartei zumindest inhaltlich sehr nahe steht. Sollte diese Mehrheit zugunsten EVP, LF oder SP kippen, hätten derlei Ideen wohl bedeutend bessere Chancen als bis anhin.
Der nächste Frutiger Obmann wird am 13. Juni mittels Urnenwahl bestimmt.
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