Geld gegen Hausaufgaben
21.01.2020 Adelboden, Analyse, Wirtschaft, TourismusDie Weltcup-Orte des Berner Oberlandes sorgen aktuell nicht nur für sportliche Nachrichten. Die Adelbodner Weltcup AG ist seit Monaten mit finanziellen Hiobsbotschaften in den Medien, die Kollegen in Wengen streiten sich mit Swiss Ski gar vor Gericht. Nun haben die Negativschlagzeilen ...
Die Weltcup-Orte des Berner Oberlandes sorgen aktuell nicht nur für sportliche Nachrichten. Die Adelbodner Weltcup AG ist seit Monaten mit finanziellen Hiobsbotschaften in den Medien, die Kollegen in Wengen streiten sich mit Swiss Ski gar vor Gericht. Nun haben die Negativschlagzeilen die Politik aufgeschreckt. Man müsse die traditionsreichen Skirennen retten, heisst es. Nur: Wie genau soll das gehen?
Noch sind die letzten Rechnungen vom Adelbodner Weltcup nicht bezahlt, wie der Grossanlass finanziell abgeschnitten hat, ist offen. Eines kann man aber jetzt schon sagen: Die Bedingungen für die 2020er-Ausgabe waren gut. Die Strasse hielt, die zwei Renntage am Chuenisbärgli boten den Besuchern ein top Wetter. Und während die Schweizer Athleten am Samstag noch Pech hatten, erfüllte ein starker Daniel Yule am Sonntag die Erwartungen. Offenbar hatten viele Fans den richtigen Riecher: Erstmals war für den Slalom die Tribüne komplett ausverkauft. Sicher, die Pistenpräparation war auch diesmal kein Spaziergang. Wegen mehrerer Föhnstürme vor dem Weltcup schmolz der Schnee dahin. Einmal mehr war es den Künsten von Hans Pieren zu verdanken, dass die FIS der Rennstrecke schliesslich ihren Segen gab. Doch auch hierzu muss man sagen: Die Bedingungen waren schon deutlich schlechter. Bedenkt man, was klimamässig wahrscheinlich auf uns zukommt, muss der Jahreswechsel 2019/20 wohl als durchschnittlich gelten. Mit anderen Worten: Besser wird es nicht mehr. Umso gespannter darf man sein, was am Ende in der Kasse bleibt. Seit 2016 blieb unter dem Strich jeweils ein sechsstelliges Defizit.
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Nach der diesjährigen Ausgabe geht es um Grundsätzliches. Sollte der eigentlich optimal verlaufene Weltcup 2020 wieder mit einem dicken Minus abschliessen, muss man sich fragen, unter welchen Bedingungen der Anlass überhaupt kostendeckend sein soll. Wenn die Renntage schon bei Sonnenschein und mit Schweizer Triumph nicht wirtschaftlich sind, was soll dann erst bei Nebel und einem sportlich weniger interessanten Aufgebot passieren? Budgetiert ist auch in diesem Jahr ein Minus von über 300 000 Franken. Wenn es darum geht, die Misere zu erklären, sprechen sowohl der ehemalige Weltcup-Chef Peter Willen als auch der heutige Geschäftsführer Christian Haueter von strukturellen Gründen. Übersetzt heisst das: Selbst wenn alles super läuft, kommen wir derzeit auf keinen grünen Zweig. Ähnlich tönt es von den Kollegen vom Lauberhorn. Die hatten schon im letzten Jahr beste Voraussetzungen, eine Rekordzuschauerzahl, ausverkaufte Ränge – und fuhren damit satte 270 000 Franken Verlust ein. Dieses Jahr könnte es ähnlich aussehen.
Die Ursachen für diese Entwicklung sind bekannt. Die Pistenpräparation, die Sicherheitsauflagen, die Umweltstandards – die Ansprüche sind über die Jahre gewachsen und für die Veranstalter immer teurer geworden. Daran haben auch die Sportverbände ihren Anteil, die gerne Standards aufstellen und fordern, andere aber die Zeche zahlen lassen.
Teil des Problems sind womöglich aber auch die eingefahrenen Strukturen vor Ort. Ob in Adelboden oder in Wengen: Das lokale Gewerbe achtet schon darauf, dass es seinen Teil vom Weltcup-Kuchen abbekommt. Auf gut Deutsch: Die Weltcup-Kuh wird ganz gerne gemolken. Nur: Wie lange gibt die Kuh noch Milch? In Wengen ist die Lage gerade eskaliert. Vor dem Sportgerichtshof in Lausanne streiten sich die Organisatoren des Lauberhornrennens mit Swiss Ski um die Marketingeinnahmen. In den Medien werden Drohkulissen herumgereicht, die Rennen könnten vom Lauberhorn abgezogen und ins Bündnerland oder ins Wallis verlegt werden. Wahrscheinlich ist so ein Szenario wohl nicht, manches davon eher Taktik. Aber dass eine Verlegung überhaupt öffentlich diskutiert wird, zeigt, dass in Wengen einiges im Argen liegt.
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Ganz so verfahren ist die Lage am Chuenisbärgli noch nicht. Doch es stimmt, was am runden Tisch im letzten Oktober gesagt wurde: Auch der Adelbodner Weltcup ist keineswegs selbstverständlich. Es gibt in der Schweiz genügend Skiorte mit klangvollen Namen, die den Anlass liebend gerne erben würden. Egal, wie die Rechnung 2020 ausfällt, auch in Adelboden muss man also überlegen, wie es weitergehen soll. «Wir müssen über die Bücher», sagte Peter Willen nach dem Weltcup 2019. Geschäftsführer Christian Haueter kleidet es in andere Worte, meint aber dasselbe: Man müsse den Event quasi «auf der grünen Wiese» komplett neu planen, eine Strategie für die Jahre 2021 bis 2024 entwerfen. Und dabei möglichst viele Kosten einsparen. Aber kann man ein Skirennen komplett neu erfinden? Allzu viele Stellschrauben, an denen sie drehen könnten, stehen den Organisationen gar nicht zur Verfügung – das meiste ist ja vorgegeben. So steht am Ende aller Sparbemühungen vielleicht die schlichte Erkenntnis, dass der Weltcup in der jetzigen Struktur nicht mehr kostendeckend durchführbar ist. Und dass die Defizite der letzten Jahre keine Ausnahmen waren, sondern künftig die Regel sein werden.
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Was heisst das für die Zukunft des Grossanlasses? Zwei grundsätzliche Möglichkeiten gibt es. Erstens: Adelboden steht irgendwann nicht mehr als Weltcup-Destination zur Verfügung. Das kann niemand ernsthaft wollen, weder die Adelbodner noch die Region oder der Kanton Bern. Wertschöpfung, Werbewirkung: Es mangelt ja nicht an Beteuerungen, wie wichtig der Weltcup sei. Das führt unmittelbar zur zweiten Möglichkeit. Wenn der Weltcup denn so bedeutend ist, wie alle sagen, muss man dafür sorgen, dass er weiterhin stattfinden kann. Und das heisst vor allem: Die Finanzierung muss neu geregelt werden. Dass die Gemeinde Adelboden und der dortige HGV ihren Beitrag leisten, sollte selbstverständlich sein. Auch der kürzlich vorgestellte Unterstützer-Club kann helfen, den Weltcup im Dorf zu halten. Aber das wird langfristig nicht reichen.
Schon länger steht deshalb die Forderung im Raum, der Kanton müsse für «seinen» Weltcup-Ort spendabler werden. Bislang hat sich der zuständige Regierungsrat Christoph Ammann zurückhaltend gezeigt. Schon jetzt unterstützt der Kanton die Weltcup-Anlässe, indem er die Kosten für die Einsätze von Zivilschützern und Militär übernimmt – nach Ammans Rechnung ein Gegenwert in Millionenhöhe. Warum er darauf hinweist, liegt auf der Hand: Der Regierungsrat will vermeiden, leichtfertig weitere finanzielle Zusagen abzugeben. Doch der politische Druck ist in den letzten Tagen gewachsen. Die Defizitdebatten und Verlegungsdrohungen haben einige Grossräte aufgeschreckt. Am Wochenende forderte Thomas Knutti (SVP) in einer dringlichen Motion, der Kanton solle die Weltcup-Rennen in Adelboden und Wengen mit einem jährlichen Betrag von 500 000 Franken unterstützen. Etwas weniger weit geht ein Vorstoss aus BDP-Kreisen. Der Regierungsrat solle «Verhandlungen über ein finanzielles Engagement des Kantons Bern» aufnehmen, so der Auftrag. Auch ein Vergleich mit anderen Weltcupdestinationen verleiht solchen Forderungen Gewicht. In St. Moritz unterstützen Tourismus, Gemeinde und Kanton den dortigen Weltcup der Frauen mit 700 000 Franken, was gemäss Recherchen des SRF knapp 50 Prozent des Budgets ausmacht. In Crans Montana unterstützt die öffentliche Hand den Weltcup sogar mit rund einer Million Franken, immerhin ein Drittel des Budgets. Von solchen Quoten kann man in Adelboden und Wengen bislang nur träumen.
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Es ist also wahrscheinlich, dass in die Weltcup-Finanzierung demnächst Bewegung kommt – kein Politiker in Bern will sich nachsagen lassen, er hätte einfach zugesehen, wie die Oberländer Weltcup-Rennen eingehen. Der Kanton wird freilich nicht einfach das Portemonnaie öffnen, ohne seinerseits Bedingungen zu formulieren. Von «zukunftsfähigen Konzepten» ist die Rede und die Verantwortlichen vor Ort müssten «ihre Hausaufgaben machen». Was das konkret heissen soll, ist bislang offen. Aber ziemlich sicher wird es dabei um Themen wie Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit gehen. In dieser Hinsicht ist Adelboden auf gutem Weg: Der Einsatz von Mehrweggeschirr und das neue Depotkonzept für Dosen und Flaschen tragen dem neuen Öko-Bewusstsein von Politik und Bevölkerung Rechnung. Erledigt sind die Hausaufgaben damit noch nicht. Bevor weiteres Geld zugeschossen wird, wird man von Adelboden verlangen, die eigenen Strukturen zu optimieren. Das könnte beispielsweise bedeuten, die umliegenden Gemeinden an der Organisation und Finanzierung der Renntage zu beteiligen. Das könnte auch heissen, Weltcup AG und Tourismus stärker als bisher zu verzahnen. Ein weiteres Thema ist die intelligente Nutzung von Infrastruktur und Bauten, um Doppelspurigkeiten zu vermeiden. Neu sind solche Überlegungen nicht. Die Führungsriege des Weltcups hat längst damit begonnen, die Möglichkeiten auszuloten. Doch auch wenn sich das Fenster für Veränderungen gerade weit geöffnet hat – ein Spaziergang werden die Verhandlungen nicht. Auf den Regierungsrat, aber auch auf die Weltcupverantwortlichen dürften in den nächsten Wochen und Monaten intensive Gespräche zukommen.