Post für den «lieben Bundesrat»
21.04.2020 Coronavirus, Analyse, Wirtschaft, TourismusSeit Wochen versucht GastroSuisse-Präsident Casimir Platzer, seine Branche vor dem Ruin zu bewahren. Dabei greift er schon mal zu ungewöhnlichen Mitteln – so etwa letzte Woche, als er offenbar versuchte, die Mitglieder der Landesregierung gegeneinander auszuspielen. Doch auch der ...
Seit Wochen versucht GastroSuisse-Präsident Casimir Platzer, seine Branche vor dem Ruin zu bewahren. Dabei greift er schon mal zu ungewöhnlichen Mitteln – so etwa letzte Woche, als er offenbar versuchte, die Mitglieder der Landesregierung gegeneinander auszuspielen. Doch auch der Bundesrat selbst liess zuletzt die nötige Professionalität vermissen: seine Kommunikation zur Gastronomie war unpräzise und widersprüchlich. Nun hoffen Wirte und Restaurantbetreiber auf Nachbesserungen.
Dass er zu lange gezaudert hätte, kann Casimir Platzer niemand vorwerfen. Bereits Anfang März hatte er den Bundesrat dazu gedrängt, Notrecht einzuführen und endlich Wirtschaftshilfen auf den Weg zu bringen. Das ganze Ausmass der Corona-Krise war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht absehbar. Die Behörden hatten Grossveranstaltungen untersagt und zum «Social Distancing» aufgerufen, mehr nicht. Hotellerie und Gastrobranche dagegen spürten die Auswirkungen des Virus schon sehr deutlich. Seite Ende Februar hatte die Berichterstattung über die neue Seuche deutlich Fahrt aufgenommen. Ausländische Reisende waren verunsichert, es hagelte Stornierungen, in den Restaurants blieben die Tische unbesetzt. Dass Platzer mit seinem frühen Alarmschlagen recht hatte, zeigte sich nur Tage später. Am 13. März verfügte der Bundesrat, dass sich in Restaurants, Bars und Clubs nur noch maximal 50 Personen aufhalten dürften – wenn die Abstandsregel eingehalten werde. Kurz darauf, am 16. März, kam dann der Lockdown: Es galt nun die ausserordentliche Lage, alle Gastronomie-Betriebe wurden geschlossen.
Für eine Branche, die schon in guten Zeiten mit sehr kleinen Margen operiert, kamen die Massnahmen einem Todesstoss gleich. Schon in den ersten zwei Märzwochen, rechnete Platzer vor, habe das Gastgewerbe Umsätze von 380 Millionen Franken verloren. Nun gehe gar nichts mehr. Immerhin: Parallel zu den Einschränkungen brachte der Bundesrat eine Reihe von Hilfspaketen auf den Weg. Er erleichterte den Zugang zur Kurzarbeit, lockerte die Zahlungsfristen für bestimmte Steuern und Abgaben, stellte Notkredite zur Verfügung. Das meiste davon hatte Gastro-Suisse-Präsident Platzer schon bei seinem ersten Treffen mit der Landesregierung gefordert.
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Nach diesem Teilerfolg galt es, das Ende der Beschränkungen in den Blick zu nehmen. Als oberster Beizer war Platzer auf allen Kanälen präsent, gab zahlreiche Interviews auf Deutsch und Französisch, sass in Talkrunden im Fernsehstudio. Und vergass dabei selten, das Gewicht seiner Branche zu betonen: 30 000 Betriebe, 260 000 Angestellte, 8000 Auszubildende. Um das Schlimmste zu verhindern, müsse man nun schnellstmöglich zur Normalität zurückfinden, forderte der Kandersteger ein ums andere Mal. Natürlich habe der Bundesrat in Sachen Corona das Heft in der Hand. Um ihre Zukunft planen zu können, bräuchten Wirte und Gastronomen aber eine verlässliche Exit-Strategie. Werde das Öffnungsverbot bis in den Juni hinein aufrechterhalten, würden 30 bis 40 Prozent der Betriebe für immer schliessen müssen, warnte der GastroSuisse-Präsident. Um den Druck zu erhöhen und guten Willen zu zeigen, erarbeitete Platzers Verband ein Konzept, mit dem zumindest Restaurants bald wieder öffnen könnten. Darin waren unter anderem Abstandsregeln zwischen den Tischen definiert, ausserdem eine Höchstzahl Gäste pro Quadratmeter. Über das Osterwochenende, so schildert es Platzer, habe man das Konzept an den Bund geschickt, ans SECO und die Departemente der Bundesräte Parmelin (Wirtschaft) und Berset (Gesundheit). Teilweise sei nicht einmal eine Eingangsbestätigung zurückgekommen.
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Mitte vergangener Woche sickerte dann durch, wie der Bundesrat sich die Lockerung der Corona-Beschränkungen vorstellt. Von einem dreistufigen Prozess war die Rede, die letzte Etappe sollte am 8. Juni beginnen. Indes: Die Gastronomie kam in diesem Fahrplan gar nicht vor. Platzer, von den Spekulationen alarmiert, setzte sich an den Computer und schrieb kurz vor der entscheidenden Sitzung eine E-Mail an den Bundesrat. Dem «Tages-Anzeiger» liegt der Inhalt des Schreibens vor, und wie die Zeitung berichtet, ging Platzers E-Mail nicht an alle Mitglieder der Landesregierung, sondern nur an die bürgerlichen – bei aller Dringlichkeit ein doch recht ungewöhnliches Vorgehen. In seiner E-Mail soll Platzer die «liebe Karin», die «liebe Viola», den «lieben Ueli», den «lieben Ignazio» und den «lieben Herrn Parmelin» aufgefordert haben, den SP-Magistraten Berset umzustimmen, sodass die Gastrobranche schon früher wieder öffnen könne. Ob es sich so zugetragen hat oder nicht, dass Platzer und Berset das Heu nicht auf der gleichen Bühne haben, ist bekannt. Der Lobbyist und der Gesundheitsminister sind sozusagen natürliche Feinde, spätestens seit Alain Berset der Branche eine Tausende Seiten lange Lebensmittelverordnung (Arbeitstitel «Largo») aufdrücken wollte. Platzer kämpfte seinerzeit an vorderster Front gegen den «Papiertiger» aus dem Hause des Gesundheitsministers. Umgekehrt scheint sich der GastroSuisse-Präsident ganz gut mit Ueli Maurer zu verstehen. Von der «Kandersteg-Connection» schrieben schon verschiedene Zeitungen – denn in Kandersteg steht nicht nur Platzers Hotel, auch Ueli Maurer hält sich bekanntermassen häufig dort auf. Zumindest in Sachen Corona-Strategie dürften der SVP-Bundesrat und Platzer einer Meinung sein. Auch Maurers Partei hatte in den letzten Tagen vehement gefordert, die Wirtschaft müsse jetzt möglichst schnell wieder hochgefahren werden, und diese Haltung dürfte der Finanzminister auch im Gesamtbundesrat vertreten haben. Doch es kam anders. Ueli Maurer drang nicht durch, Platzers E-Mail-Vorstoss an ausgewählte Mitglieder der Landesregierung zeigte nicht die gewünschte Wirkung. Stattdessen beschloss der Bundesrat, bei seinem vorsichtigen Kurs zu bleiben und das öffentliche Leben erst nach und nach wieder freizugeben. Sofern die Infektionszahlen nicht wieder ansteigen, soll die letzte Phase der Lockerungen erst am 8. Juni beginnen.
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Beim Verkünden dieses Fahrplans gaben die anwesenden Bundesräte keine gute Figur ab. Warum nun die einen Betriebe öffnen dürfen, andere aber nicht, wurde nicht schlüssig erklärt; die Ausführungen zum Ansteckungsrisiko von Kindern sorgten für Irritationen; einmal mehr blieb offen, warum die Schweiz nicht wie andere Länder auf Schutzmasken setzt. Für die Gastrobranche schliesslich war der Auftritt vom vergangenen Donnerstag ein Schlag ins Gesicht: Sie wurde gar nicht erwähnt. Nicht einmal in der letzten Etappe von Anfang Juni kamen Bars und Restaurants vor. Als Simonetta Sommaruga auf diesen Umstand angesprochen wurde, blieb die Bundespräsidentin vage. Wann die Restaurants wieder öffnen dürften, habe man noch nicht entschieden, weil sie in der ersten Etappe sicher nicht dabei seien. Zwar beteuerte Sommaruga mehrmals, man habe sich natürlich auch mit der Situation der Gastronomie beschäftigt, doch wirkte die Auskunft fast ein wenig unvorbereitet. Für besondere Irritation sorgte schliesslich Sommarugas Aufforderung, die Branche könne ja selbst Konzepte erarbeiten, wie eine etappenweise Öffnung der Lokale umgesetzt werden könne. Genau das hatten Casimir Platzer und seine Mitstreiter bereits eine Woche zuvor getan. Entsprechend harsch fiel das Urteil des Gastro-Suisse-Präsidenten aus. Die Informationen des Bundesrats seien eine Frechheit, äusserte sich Platzer auf Medienanfragen. Dieser Fahrplan raube vielen Gastronomen die letzte Hoffnung, die Krise überstehen zu können.
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Auch die Bundesverwaltung trug tags darauf nicht dazu bei, den Entscheid des Bundesrats verständlicher zu machen. Was am Schutzkonzept der Gastrobranche denn nicht gut gewesen sei, fragte ein Journalist in einer Medienkonferenz. «Der Bund genehmigt keine Branchenkonzepte», stellte Boris Zürcher vom Staatssekretariat für Wirtschaft SECO daraufhin klar. Es würden wie bisher die arbeitsrechtlichen Vorschriften und die Vorgaben des Bundesamtes für Gesundheit BAG gelten. In die allgemeine Verwirrung hinein erklärte dann Daniel Koch vom BAG, der Bund erarbeite Grobkonzepte für einzelne «Bereiche» der Wirtschaft. Diese würden dann von den Branchen für ihre jeweilige Situation verfeinert und müssten schliesslich von den einzelnen Betrieben umgesetzt werden. Die Kontrolle liege bei den Kantonen. So weit, so unklar. GastroSuisse will nun alles daransetzen, dass wenigstens Teile des Gastgewerbes schon vor dem 8. Juni wieder öffnen dürfen. Da der Bundesrat bisher überhaupt kein Datum genannt habe, hofft Verbandspräsident Platzer auf gewisse Spielräume.
Für einen kleinen Lichtblick sorgte am Freitag wiederum Daniel Koch. Der BAG-Vertreter versprach, die Verwaltung werde das Thema Gastronomie noch einmal ganz genau anschauen. Gleichzeitig dämpfte Koch allzu grosse Hoffnungen. Die Gastrobranche sei enorm vielfältig, «das dicht gedrängte Café ist nicht vergleichbar mit einem Gourmet-Tempel.» Wenn es Lockerungen für die Branche gebe, dann sicher nur mit grossen Restriktionen. Ähnlich äusserte sich am Wochenende Bundesrat Guy Parmelin. Auch der Wirtschaftsminister hob die Bedeutung der Gesundheitsvorsorge hervor und zitierte dabei seinen Kollegen Berset: Man lockere «so schnell wie möglich und so langsam wie nötig». Für einen beschleunigten Wiedereinstieg könnte das Parlament sorgen. Ab dem 4. Mai kommen National- und Ständerat auf dem Messegelände der Bernexpo zu einer ausserordentlichen Session zusammen. Wie der Bundesrat können auch die eidgenössischen Räte Notverordnungen verabschieden – zum Beispiel zu Gunsten bestimmter Branchen. Verschiedene Parteien, allen voran SVP, FDP und CVP haben bereits Signale ausgesandt, dass sie der Gastronomie zu einem Start schon im Mai verhelfen wollen. Sollte es so kommen, bliebe schliesslich nur noch eine Frage zu klären: Wird der Gast mitspielen? Nicht alle Restaurantbesucher dürften es schätzen, sich das Essen unter Einhaltung der Abstandsregeln auf einem Beistelltisch servieren zu lassen. Oder von einem Kellner mit Schutzmaske bedient zu werden. Wie Restaurantbesucher auf dieses spezielle Ambiente reagieren werden, können weder Politik noch GastroSuisse vorhersagen.