Moralisch richtig – wirtschaftlich schädlich?
20.10.2020 Landwirtschaft, Wirtschaft, GesellschaftABSTIMMUNG Wenn Schweizer Unternehmen im Ausland Umweltschäden verursachen und gegen Menschenrechte verstossen, bleibt dies manchmal ungestraft. Eine Inititiave will das nun ändern. Gehen ihre Forderungen zu weit?
MARK POLLMEIER
Bei manchen Abstimmungen sind die ...
ABSTIMMUNG Wenn Schweizer Unternehmen im Ausland Umweltschäden verursachen und gegen Menschenrechte verstossen, bleibt dies manchmal ungestraft. Eine Inititiave will das nun ändern. Gehen ihre Forderungen zu weit?
MARK POLLMEIER
Bei manchen Abstimmungen sind die Fronten sehr klar. Die Begrenzungsinitiative war so ein Fall: Hier die SVP, dort der Rest. Doch es gibt auch Themen, bei denen Gegner und Befürworter sich nicht so eindeutig in Lager aufteilen lassen. Ein Beispiel dafür ist die Konzernverantwortungsinitiative (KVI), über die am 29. November entschieden wird.
Schon am Titel der Vorlage lässt sich ablesen, worum es geht: Unternehmen mit Sitz in der Schweiz sollen ihre Verantwortung für Menschenrechte und Umweltfragen wahrnehmen – und zwar auch im Ausland. Dazu will man ihnen eine Sorgfaltspflicht auferlegen. Kommt ein Konzern dieser Pflicht nicht nach, soll er für Schäden haften, die er selbst oder seine Tochterfirmen im Ausland anrichten.
Verseuchte Flüsse, verpestete Luft
Dass es solche Fälle gibt, ist unbestritten. Die InitiantInnen listen diverse Umweltskandale und Menschenrechtsverletzungen auf, die Schweizer Unternehmen in aller Welt begangen haben: Verseuchte Flüsse, Kinderarbeit, Vergiftungen mit Schwermetall, Wolken von ätzendem Schwefeldioxid über Wohngebieten. Das alles sind Vorgänge, die in der Schweiz mit hohen Strafen belegt würden. Weil sie sich aber in einem Schwellenland irgendwo auf der Welt abspielen, kommen die Verursacher häufig ungeschoren davon – auch, weil eine funktionierende Justiz vor Ort häufig nicht existiert.
Diesem Treiben ein Ende zu setzen, ist ein naheliegender Impuls, und so finden sich in allen Lagern Unterstützer der KVI. Neben zahlreichen Hilfswerken, Menschenrechts- und Umweltorganisationen, kirchlichen, genossenschaftlichen und gewerkschaftlichen Vereinigungen gibt es auch ein bürgerliches Unterstützerkomitee. Darin vertreten sind etwa die BDP, die EVP und die EDU, daneben einige Kantonal- oder Jungparteien von CVP und glp. Die glp Schweiz hat gerade die Ja-Parole beschlossen.
Untergräbt die KVI das Rechtssystem?
Auch viele Unternehmer finden es stossend, dass Schweizer Firmen sich im Ausland Vergehen leisten, die hierzulande undenkbar wären. «Für die Chefs eines grossen Rohstoffkonzerns im klimatisierten Büro in Zug hat es keine Konsequenzen, wenn die Tochterfirma in Peru Kinder mit Blei vergiftet oder in Sambia die Umwelt verschmutzt», schreibt etwa Markus Wenger, EVP-Grossrat und Unternehmer (Wenger Fenster). Weil hier die Eigenverantwortung offensichtlich nicht mehr spiele, brauche es nun klare Regeln. «Ich muss mich mit meiner Firma auch im Berner Oberland verantworten, wenn ich etwas anstelle», so Wenger. Viele seiner KMU-Kollegen sehen es ähnlich. Auf Verbandsebene stösst die KVI jedoch auf Ablehnung. Sie untergrabe nicht nur die Souveränität und das Rechtssystem der Schweiz, findet etwa der Verband Berner KMU, sie gehe mit der weltweit beispiellosen Haftung für Schweizer Unternehmen auch viel zu weit.
Tatsächlich liegt bei der Beweislast und den daraus abzuleitenden Haftungsansprüchen der Hase im Pfeffer. Die Gegner der Initiative warnen vor einer Klagewelle gegen Schweizer Unternehmen – die dann Mühe hätten, im konkreten Fall ihre Unschuld zu beweisen. Viele Konzerne würden so schlicht erpressbar, befand etwa ein Vertreter des Schweizer Chemieriesen Clariant (gut 6,6 Milliarden Franken Umsatz). Ähnliche Befürchtungen macht etwa der FDP-Ständerat Ruedi Noser geltend. Der Gedanke dahinter: Am Ende müssten sich die beschuldigten Firmen mit teuren «Deals» freikaufen, um nicht vor Gericht zu landen. Befürworter der KVI relativieren dieses Risiko und weisen darauf hin, dass die Beweislast bei den Geschädigten liege. Man könne eben nicht «einfach so» in der Schweiz ein Gerichtsverfahren gegen irgendeine Firma anstrengen, betont etwa Monika Roth, Rechtsprofessorin und Co-Präsidentin des Initiativkomitees. Einerseits ein moralisch völlig berechtigtes Anliegen, andererseits (vielleicht) eine Gefahr für die Wirtschaft – im Schweizer Parlament wusste man nicht so recht, wie man mit dem Vorstoss umgehen soll. Einig waren sich beide Kammern, dass die Initiative zu extrem ausfällt. Die weitreichende Sorgfaltspflicht, eine unter Schweizer Recht einklagbare Haftung – das schien vielen Parlamentariern heikel. Mehr als einmal fiel das unvermeidliche Standardargument: Die KVI führe zu Rechtsunsicherheit und gefährde Arbeitsplätze und damit Wohlstand.
Durchgesetzt hat sich am Ende ein indirekter Gegenvorschlag aus dem Ständerat. Völlig neue, rechtsverbindliche Haftungsregeln wurden ausgespart, stattdessen sind Berichterstattungspflichten vorgesehen, wie sie inzwischen auch in der EU und einigen anderen Staaten gelten. Die Schweiz würde sich damit internationalen Rechtsgrundsätzen angleichen, dabei aber nicht allzu weit vorpreschen.
Ein Gegenvorschlag des Nationalrats war in der Haftungsfrage noch weitergegangen, fand aber – auch auf Druck multinationaler Grosskonzerne – keine Mehrheit. Hätte sich der nationalrätliche Kompromiss durchgesetzt, wären die Initianten nach eigener Aussage dazu bereit gewesen, ihre Vorlage zurückzuziehen. Stattdessen wird nun das Volk darüber entscheiden, welche Variante es für vertretbar hält.